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Bloß harmloser Alltag

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Auf der Bühne sind zwei weißgestrichene Lattengerüste zu sehen, sie stellen Häuser dar. Auch Tische und Sitzgelegenheiten sind aus solchen Latten gefertigt. Gespielt wird requisitenlos, die Darsteller essen, ohne daß Speise und Trank auf dem Tisch stehen. Diese Art der Darbietung des Spiels „Unsere kleine Stadt“ von Thornton Wilder in der derzeitigen Aufführung im Volkstheater entspricht den Forderungen des Autors.

Was nach dem letzten Krieg pionierhaft wirkte, die Inszene, die Einführung eines Sprechers, die Verrückungen der Zeitfolge, derlei sind wir längst gewohnt. Soll uns dieses Spiel heute ansprechen, kann das nur vom Gehalt her erfolgen. Nun ist es aber im Jahre 1938 geschrieben, führt in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in eine kleine amerikanische Stadt unter ehrbare Bürger, die Familien eines Arztes, eines Zeitungsherausgebers. Die seelische Situation ist eine völlig andere als heute, seit sich das Antlitz des Menschen so sehr entstellt hat.

Es geht in diesem viel gespielten Stück noch um schlichtes Alltagsleben, um die Liebe zweier junger Menschen, um Hochzeit, um die Entrücktheit im Tod, wenn im letzten Akt die Verstorbenen am Friedhof vor uns sitzen und miteinander reden, der versuchte Konnex der eben begrabenen jungen Toten aber mit den Lebenden nicht mehr möglich ist. Erscheint uns ein derartiges Bild

des Lebens als zu sehr verharmlost? Ganz läßt sich diese Vorstellung nicht verdrängen, aber es ist nichts versüßt. Thornton Wilder zeichnet die Figuren in epischer, gelassen un-verdichteter Abfolge der Vorgänge behutsam, Poetisches wird spürbar, wenn sich die Sicht auf das Unerklärbare ergibt. Eine verlorene Welt tut sich auf, deshalb spricht sie an.

Wie vor zehn Jahren in der „Josefstadt“, ist auch diesmal Hans Jaray nicht nur der Regisseur der Aufführung, sondern auch der überaus sympathische Sprecher, ja, er spielt kurz sehr überzeugend einen italienischen Eisverkäufer, einen Geistlichen. Das junge Paar ist mit der frisch-anmutigen Heidi Picha und dem jungenhaften Markus Völlenklee gut besetzt. Joseph Hendrichs und Hilde Sochor, Peter Hey und Traute Wassler charakterisieren unterschiedlich die Väter und Mütter der beiden. Deckendes Spiel der übrigen Darsteller. Noch dies: Rolf Langfuss entwarf Bühnenbild und Kostüme.

• Aus dem Werk von Robert Michel liest am 28. Februar um 19 Uhr im Palais Pälffy Hans Thimig. Rudolf Henz spricht über seinen Offizierskameraden Robert Michel und Hofrat Gustav Pichler hält die Laudatio. Vielleicht wird hiermit die Wiederentdeckung eines altösterreichischen Erzählers (Kleist-Preis, Stifter-Preis und Staatspreis der CSSR) eingeleitet.

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