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Bräuche trotzen der Banalität

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Einen absterbenden Brauch nannte vor 80 Jahren der Kärntner Historiker Georg Grab-ner den Kärntner Vierbergelauf. Er hat nicht recht behalten. Während des Zweiten Weltkrieges haben nur mehr an die zehn Menschen mitgemacht, erzählte mir eine junge Bäurin aus dem Glantal. Sie wußte es von ihrer Mutter. Heute sind es wieder viele, die sich von diesem alten Brauch mitnehmen lassen auf einen beschwerlichen Weg.

Beinahe 2000 Menschen beteiligten sich heuer an dieser seltsamen Wallfahrt, die auf einem Berg beginnt und auf einem Berg endet. An die 1000 von ihnen feierten mit mir am Morgen den Gottesdienst an der dritten Station des Laufes auf dem Feld vor der Kirche in Karnberg.

Streitigkeiten über den Ursprung des Vierbergelaufes interessieren wohl jene am wenigsten, die alljährlich am sogenannten Dreinagelfreitag, dem zweiten Freitag nach Ostern, um Mitternacht aufbrechen und eilig den überlieferten Weg von etwa fünfzig Kilometern zurücklegen. Ist es eine christliche Wallfahrt oder ein christlich überformter vorchristlicher Brauch? Die Ursprünge sind sehr wahrscheinlich vorchristlich.

Aber wie die frühen Christen viele ihrer Kirchen auf die Fundamente von Heiligtümern der alten Religionen gebaut, ja in Tempel hineingebaut haben, so mag es auch beim Vierbergelauf sein. Und wie ein gediegenes altes Haus einige wenig passende neue Zutaten geduldig erträgt, so übersteht auch dieser alte Brauch den Versuch, ausschließlich sportliche Zielsetzungen mit ihm zu verbinden, ihn zum Fitneßmarsch umzufunktionieren.

In einem von Anton Wieser und Fred Dickermann gestalteten Bildband „Der Vierbergelauf" kommen auch Mitgehende, Mitlaufende zu Wort. Einer von ihnen hat gesagt: „Am Anfang war es eigentlich mehr oder weniger eine sportliche Angelegenheit. Das hat sich aber doch im Laufe der Zeit irgendwie geändert. Dadurch, daß man so lange geht, ist es doch zu einer Wallfahrt geworden." Und ein anderer Teilnehmer bekennt: „Unter dem Gehen kommen einem viele Gedanken, die einem Gebet ähnlich sind."

Vorbeter, die mit altem Wissen ausgerüstet sind, Kreuzträger und Mitbeter bilden einen Kern, der die anderen um sich gruppiert und bindet. Am Weg warten auch gastfreundliche Menschen. Sie bieten Brot, Most und Äpfel an.

Leben ist ein Weg und die Frage aller Fragen ist, welches Ziel dieser Weg hat. Wallfahrten bieten Antwort auf diese Frage. Der Vierbergelauf verbindet wohl alte vorchristliche und schwer entzifferbare Antworten mit der Antwort des Evangeliums.

Die alten Leute, so erzählte mir die schon genannte Bäurin aus dem Glantal, waren davon überzeugt, die Welt werde untergehen, wenn der Brauch des Vierbergelaufes verschwände. In dieser Volkssage birgt sich tiefe Weisheit. Wenn die Bräuche sterben, die den Menschen Orientierungspunkte und Ziele geben, die der Banalität trotzen und über dem Leben den Himmel offen halten, dann geht tatsächlich eine Welt unter.

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