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Charakter, Heiterkeit und Zuversicht

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Wie steht es mit dem Schaffen eines Schauspielers? Er hat gespielt und man hat ihm zugeschaut, aber all die Worte und Gebärden sind mit dem Theaterabend verschwunden, sind zur Erinnerung geworden — und wenn wir drei Tage später über den denkwürdigen Abend diskutieren wollten, müßten wir uns auf das eigene Gedächtnis berufen. Ist es aber eine Instanz? Gleichwohl wirkt das Bühnenerlebnis weiter, formt Sprache, Stil, Stimmung, vermag auch in jenen Prozeß hineinzuwirken, den man Erkennen und Begreifen nennt. Das heißt: Die Vergänglichkeit der schauspielerischen Tat ist in einer schwer nachvollziehbaren Form unvergänglich. Ein Paradoxon? Sicherlich. Nicht das erste.

Hans Jaray, der Siebzigjährige, hat Rollen und Rollen gespielt, war ein schöner Jüngling und ein eleganter Darsteller eleganter junger Herren, war von allem Anfang an ein Intellektueller, zweifelnd, nachdenklich, belesen, grübelnd, Gedanken und Erlebnisse sublimierend. Er gewann Distanz und Souveränität, gewann das Hochgefühl, allein zu sein, die Einsicht, daß man die Technik erst erwerben und beherrschen müsse, um sie dann spielerisch zu überwinden.

Auch heute gibt es gute junge Talente. Oft scheint es für sie schwierig zu sein, diesen von Hans Jaray vorgezeichneten Weg zu gehen. Und warum? Es liegt wohl an der Zeit. An der unmittelbaren Umgebung. An der Atmosphäre einer Gesellschaft, in der die kleinen Geschäftemacher und die ebenso kleinen Ideenmacher dominieren. Auf kleinen Karos kann keiner große Sprünge machen.

Die letzen beiden Jahrzehnte jenes franzisko-josephinischen Österreich sind geistig reicher, sind fruchtbarer und inspirierter gewesen, haben auch bedeutende Widersacher des herrschenden Systems hervorgebracht. Karl Kraus und Robert Musil waren Kinder jener Monarchie wie all die anderen, die Tiefenpsychologie und Empiriokritizismus, Zwölftonmusik und Secession erschaffen haben. Dieses Wien der Jahrhundertwende war — frei und bedrückt zugleich — eine Schule des Genialen.

Hans Jaray kommt aus diesem Wien.

Er, der glasklar agierende Schauspieler und analytisch auf die große Synthese zugehende Regisseur, verkörpert Tugenden, die ganz offenbar in jener anders gearteten Zeit des alten Reiches wurzeln. Er kann jüngeren Künstlern ein Beispiel geben: Korrektheit und Diskretion verwandelt sich hier in ästhetische Werte.

Hier steht ein Mann, der mit freundlicher Anteilnahme, nachdenklich, allerdings auch leicht distanziert durch das Leben und durch die Theater geht, ungefähr so, wie jemand einen bunten Markt besucht, ohne etwas kaufen oder gar verkaufen zu wollen — bloß aus gleichsam touristischen Gründen. Hier steht ein Mann, der uns (und das als Schauspieler, Regisseur, Theatermann, also im Metier der gelogenen Wahrheit!) zeigen kann, was Redlichkeit bedeutet, Unbeugsamkeit, Freude an der Freude. Er kennt sein Maß genau. Er späht wach und ruhelos in die Welt hinaus und zieht aus dem Welttheater die Konsequenzen auf seine Kunst und auch auf sein Leben. Jaray ist in diesem Sinne ein zutiefst politischer Mensch. Ein Demokrat. Einmal im Jahr tritt er auf die Bühne des größten Sprechtheaters deutscher Zunge: er demonstriert im Volkstheater, in Wien, die galante unauffällige Kunst der Balance. Mit verschrobenen Dummköpfen, die sich an der labyrinthischen Undurchdringlichkeit ihrer eigenen Dummheit berauschen, hat er nichts zu tun. Sein Partner ist das Publikum. Er ist unendlich fortschrittlicher als manche Krampfgiganten, die sich für Vorkämpfer und Vorhut halten. Und wenn jemand auf die Idee käme, zu sagen, dieses Theater des Hans Jaray ist ja Boulevard, dann müßte man ihm antworten: Jawohl, Boulevard, Großstadt.

Gute künstlerische Arbeit und Charakter hängen zusammen. Sehr selten wird aus einem Lumpen ein guter Künstler. Wie aber Kunst aus dem Charakter hervorgeht: das demonstriert uns Jaray. Hier wird Verantwortungsgefühl sublimiert, die Denkfähigkeit wirklich eingesetzt, hier wird an der Grenze von Chaos und Ordnung um die gültige Form gerungen. Jaray kennt keine Routine. Er beherrscht sein Handwerk und unterordnet die technische Brillanz unauffällig der intellektuellen Vision. Er ist ein tapferer Einzelgänger, ein mutiger Individualist, er ist einer der fortschrittlichsten Theatermänner, die wir haben.

Er ist sehr jung.

Jugend kann ein krankhafter Zustand sein: ein Fiebern und Jucken, ein Posieren und dämliches Aufbegehre^ ein Schwärmen für Töten und Tod. Aber es gibt auch noch eine andere Jugendlichkeit. Sie gibt Kraft und Heiterkeit, gibt Energie zum Denken und zum Zweifeln, gibt lächelnde Souveränität, gibt auch jene Ruhe, in der Andacht entstehen kann: aus der bewußten Einsamkeit hartnäckiger Grübeleien. Diese kräftige und heitere, denkende und zweifelnde, souveräne und ruhige, andächtige und grüblerische Jugend hat Hans Jaray.

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