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Das Diktat

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„Wegen was bringen die Leut' einander um?“ fragte der angenehme Herr. „Das gibt einem die Vernunft ein, das geschieht immer wegen des Geldes.“ — Er sagte es im Gefängnis, als ihn der gute Soldat Schwejk danach gefragt hatte; der wollte wissen, warum jener seine Frau Tante geschlachtet habe. Die Frage, warum einander die Leute umbringen, ist ja nicht leicht zu beantworten; es genügen da weder die latrinenduftenden Gefühllosigkeiten von Remarque und Brecht, noch von der Konkurrenz, die Fahne im großen Morgenrot. Aber manchmal neigt man zu dem Eindruck, daß der gute Soldat keine ganz falsche Antwort bekommen hat. Man bekommt den Eindruck zumal dann, wenn von Kriegszielen und Kriegsentschädigungen die Rede ist.

Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen Reparationsproblems ist allbekannt. Denn an dem Reparationsproblem ist die Republik von Weimar erstickt, an ihm ist Deutschlands Widerchrist groß geworden. Da ist es denn überaus dankenswert, wenn jetzt deutsche Akten benützt werden, um klar und genau zu schildern, wie das Reparationsproblem in Deutschland entstanden ist, wie sich die deutsche Regierung nach dem Kriegsende von 1918 mit den Geldforderungen der Sieger auseinandersetzte. Die Angelegenheit wurde zu solch einem giftigen innenpolitischen Problem, weil auch sie unter dem Fluch lag, der das ganze „System“ verdunkelte. Welcher Fluch? Nun, der Sozialdemokrat Ebert wußte sehr wohl, welch ein Unglück für seine eigene Partei und für die ganze deutsche Demokratie in der Entthronung der deutschen Fürsten lag. Durch die Entthronung aller deutschen Fürsten, auch der tadellosen und beliebten, machte sich das neue System all die anständigen Konservativen zu Feinden, die in Deutschland so zahlreich waren (und sind)..Gleichzeitig aber glaubte Ebert, von der Sachlage gezwungen, gerade mit den weniger sympathischen und durchaus nicht populären Faktoren des gestürzten Regimes zum Einverständnis zu kommen: mit der, freilich sachkundigen, Bürokratie, mit den Machthabern der Wirtschaft, mit den Führern des Heeres.

Der Autor des vorliegenden Buches betrachtet all das mit ziemlich weit links befindlichen Vorurteilen; immerhin ist sein Quellenmaterial so reichlich, daß der Leser selbst urteilen kann. Die gebotene Dokumentation zeigt uns die Zusammenarbeit der sozialdemokratischen Regierung mit jenen sich national nennenden Elementen, gegenüber den feindlichen Forderungen. Die Entente hatte bekanntlich zweckwidrige Maßnahmen ergriffen. Sie glaubte, den Anschein der Beutelust zu vermeiden und den Anschein sittlicher Überlegenheit zu gewinnen, wenn sie erklärte: „Die Deutschen müssen zahlen, nicht wegen ihrer

Niederlage (wie neulich erst, das heißt in der Jugendzeit der nunmehrigen Hauptpersonen Clemen-ceau und Hindenburg, die Franzosen hatten zahlen müssen und gezahlt hatten), sondern wegen ihrer Bosheit; weil sie (ganz allein) den Krieg angefangen haben.“ Das war, wie gesagt, zweckwidrig. Denn weit entfernt davon, daß die Deutschen nun in reuiger Zerknirschung gezahlt hätten, was das Zeug hielt, sagten sie sich vielmehr, zahlen bedeute soviel wie das Eingeständnis einer ehrenrührigen Verleumdung des Vaterlandes. Der morose Zahler erstrahlte im Glanz des völkischen Kämpfers.

Die deutschen Feinde der Republik sahen nämlich bald in dem Ausmaß, vielmehr in der Maßlosigkeit der Entente-Forderungen und in der notgedrungenen Erfüllungspolitik der Republikaner ein „gefundenes Fressen“; sie verarbeiteten es in hemmungsloser Demagogie, bis es zur „Machtergreifung“ kam. Wohlgemerkt, man kann diesen Leuten billigerweise nicht zum Vorwurf machen, daß sie bei ihrer Politik auf die Lebensbedingungen der Republik keine Rücksicht nahmen; warum hätten sie auch sollen? Sondern das ist ihnen zum Vorwurf zu machen, daß sie keine Rücksicht nahmen auf die Lebensbedingungen des deutschen Volkes; so war nämlich ihre Politik. Wenn sie dauernd verlangten, man müsse den Siegern alles Mögliche „vor die Füße werfen“ — war das etwas anderes als eine Aufforderung an Foch, das zu tun, wozu er ohnedies Lust hatte, nämlich weiterzumarschieren bis Potsdam?

Als nachher jener Geisteskranke erklärte, er werde nicht kapitulieren, marschierten die Alliierten eben t bis Potsdam. Dort haben sie dann zumeist Dummheiten angestellt ... but that is another story.

DEUTSCHLAND UND DIE REPARATIONEN 1918/19. Die Genesis des Reparationsproblems in Deutschland zwischen Waffenstillstand und Versaüler Friedensschluß. tyon Peter K.r.ü.ß,f.J, SchrifteßtgMi « ■der Vierteljähreshefte für Zeitgeschichte Nr. 25. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1973. 224 S.

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