6986783-1986_29_04.jpg
Digital In Arbeit

Der Einsame von Vichy

Werbung
Werbung
Werbung

Am 23. Juli 1951 - vor 35 Jahren - starb auf der Ile d'Yeü im Atlantik im Alter von 96 Jahren Marschall Philippe Petain, der Sieger von Verdun im Ersten Weltkrieg, damals als „Retter des Vaterlandes“ gefeiert, nun der älteste Strafgefangene der Geschichte. Als Chef des Vichy-Staates der unbesetzten Zone Frankreichs nach dem Weltkrieg - zum Tod verurteilt und zu „lebenslang“ begnadigt.

Der damalige Justizminister Rene Pleven wies alle Versuche des Verteidigers auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit den Worten zurück, es könne nur eine Revision geben, die der Geschichte. Der Haß der Sieger ließ aber Tatsachen dieser Geschichte nicht zu Wort kommen.

Zweimal hatte der greise Präsident der Welt gezeigt, daß er der Gewalt eines mächtigen Siegers ausgeliefert war: Am 13. Dezember 1940, nur fünf Monate nach dem Blitzkrieg der Deutschen Wehrmacht und der Etablierung der Vichy-Regierung, forderte Potain von allen Regierungsmitgliedern eine Demissionserklärung. Niemand dachte daran, daß sie gerade für seinen Ministerpräsidenten Pierre Laval gelten sollte, der der Vertrauensmann der

Deutschen war und über den Kopf Petains weg in Paris mit den Siegern zu verhandeln pflegte.

Petain gab die Gesuche sofort zurück und sagte: „Nur die Demissionen der Herren Laval und Ripert werden angenommen!“ Unterrichtsminister Ripert hatte selbst um Enthebung gebeten.

Laval war zunächst wie erschlagen; er erfuhr vom UPI-Ver-

treter in Vichy, Ralph Heinzer, daß sein Chauffeur verhaftet worden war. Er versuchte vergeblich, zum Präsidenten vorzudringen, wurde schließlich vom Adjutanten des Chefs der Geheimpolizei verhaftet und unter Hausarrest gestellt.

Drei Tage später erschien der deutsche Botschafter Otto Abetz in Vichy und nahm Laval nach Paris mit. Erst 15 Monate später konnte Laval unter deutschem Druck wieder in seine Funktion zurückkehren. Als von den Deutschen oktroyierter Ministerpräsident amtierte er bis zum Ende des Vichystaates im September 1944. Er wurde 1945 hingerichtet

Uber ein zweites Ereignis berichtete der Vatikanische Nuntius Valerio an den damaligen Substituten im Staatssekretariat, den späteren Kardinal-Staatssekretär Domenico Tardini.

Im August 1944 hatte Abetz Laval „empfohlen“, den Sitz der Regierung nach Beifort zu verlegen. Nun sollte auch Petain dorthin umziehen. Der Marschall weigerte sich mit dem Hinweis, er könne außerhalb von Vichy seine Funktionen nicht erfüllen. Er werde nur der Gewalt weichen. Er ließ alle Türen im Hotel du Parc verrammeln, verbot seinen Wachen jedoch jeden Waffengebrauch.

Am 26. August erschienen in den • Morgenstunden zehn SS-Männer, schlugen die Scheiben ein und brachen die Türen auf. General von Neubronn teilte Petain mit, er solle sich zur Abreise bereit machen.

Während der Stunde, die die Vorbereitungen dauerten, sammelte sich vor dem Hotel eine Menschenmenge, die dem Präsidenten applaudierte und ihm zurief „Au revoir, mon marechal!“

Alles das war vergessen, als im Jahr drauf ein Gericht der Sieger den „Kollaborateur“ zum Tod verurteilte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung