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Der Eintrittspreis

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Alle fünf Jahre überprüft die Schweiz ihr Verteidigungskonzept. Vor einiger Zeit gelangte der neueste Bericht, als Studie Schmid bekannt geworden, an die Öffentlichkeit. Paradoxerweise wird in kaum einem anderen Land so oft und gründlich über militärische Probleme diskutiert. Die Erregung über das rote Verteidigungsbüchleiin vor zwei Jahren bewies es, die Reaktion der Bevölkerung auf die jüngst erlassenen Reformverordnungen der Armee bestätigte es.

Grußpflicht in der Öffentlichkeit, Werbung für die Kader der Unteroffiziere und nicht zuletzt die Rolle der Militärgerichte bei der Aburteilung von Dienstverweigerern — das füllte und füllt noch immer die redaktionellen und Leserbriefspalten der Zeitungen. Polemik taucht dabei nur am Rande auf, die meisten Schweizer verstehen erstaunlich viel vom Militärischen.

Seit Ende des vorigen Jahrhunderts besteht in der Schweiz die all gemeine Wehrpflicht. Aus dem klassischen Land der Söldnerarmeen, dessen Soldaten jahrhundertelang die Hauptlast der europäischen Kriege trugen, wurde das klassische Land einer Volksarmee mit langfristiger Dienstzeit und einem geringen Kader von Berufssoldaten. Hand in Hand mit der feierlich beschworenen ewigen Neutralität wuchs der Aufbau eines Heeres und einer Luftwaffe — auf Marine kann verzichtet werden —, die bis heute nach der Strategie des „hohen Eintrittspreises“ gerüstet und geführt werden. Daran hat auch im Prinzip das Ergebnis der neuesten Überprüfung mit den folgenden Erörterungen nichts geändert. Die „Statiker“ setzten sich erneut gegen die „Bewegungskrieger“ durch, wenngleich letztere an Boden gewannen. Der bis Ende dieses Jahres amtierende Generalstabschef Gygli gab der Bewegungstaktik Aufschwung, als er von einer wünsdbaren Verkleinerung der Armee sprach. Sie würde Modernisierung, endgültige Abschaffung der

Kavallerie (!) und insgesamt größere Beweglichkeit bedeuten. Am Konzept des „hohen Eintrittspreises“ wird allerdings weder in der Studie Schmid, noch vom Generalstabschef, noch in der öffentlichen Diskussion gerüttelt. Die positiven Erfahrungen, die man damit seit der Entwaffnung französischer Armeen im deutschfranzösischen Krieg vor hundert Jahren machte, bestätigen, daß auch ein kleines neutrales Land sich nicht nur auf den guten Willen seiner Nachbarn verlassen kann.

Die Schweiz kann keinem Militärbündnis, aber auch keinem Quasi- Bündnis der Blockfreien angehören. Nicht einmal der an sich erwünschte und teilweise lebhaft diskutierte Umzug der UNO nach Genf könnte stattflnden. Militärische Sanktionen, die ja zu den Kompetenzen der UNO gehören, dürften niemals von neutralem Schweizer Boden aus dekretiert werden.

Bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr bleibt der Schweizer Mann mi litärpflichtig, Offiziere länger, häufige Wiederholungskurse, meist in Form von Manövern, sorgen dafür, daß nach der nur dreimonatigen Grundausbildung die Wehrmänner einsatzbereit bleiben. Schießkurse sind in der Zwischenzeit obligatorisch. Angesichts dieses von den meisten willig übernommenen Opfers an Zeit, Bequemlichkeit, Geld und oft genug auch Gesundheit überrascht die geringe Zahl von bisher nur 0,03 Prozent Dienstverweigerem. Die neuerdings heftig befehdete Haftstrafe von maximal vier Monaten ist zwar noch immer vergleichsweise angenehmer als die harte Grundausbildung, aber doch ein Schönheitsfehler der demokratischen Schweiz.

Würde die Diskriminierung des Dienstverweigerers, wie sie als Folge einer militärgerichtlichein Aburteilung unweigerlich eintritt, beseitigt, verschwände auch die sehr unerwünschte Glorifizierung zum Märtyrer. Dies wird aber erst möglich, wenn ein angemessener Ersatzdienst geschaffen ist.

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