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„Der Groner”

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„Der Groner”, das war ein zwar relativ junges, aber beliebtes, später in Antiquariaten heftig gesuchtes Nachschlagewerk, offizieller Titel „Wien wie es war”. Und als „Wien wie es war” 1965 wieder da war, da jubelte gewiß nicht nur ich. Doch, ach: „Wien wie es war” war nicht mehr so, wie „Wien wie es war” gewesen war. Ich blätterte damals nur kurz in dem dicken Band und hatte schon eine Menge von Sitzfehlern gefunden.

„Sitzfehler”, das ist kein Terminus aus der Maass-Schneiderei, sondern mein privates Kriterium bei der Überprüfung von Werken, deren Materie mir vertraut ist. Wenn ich, um einen Fehler zu konstatieren, nicht aufstehen und einen Behelf zu Rate ziehen muß, sondern sitzen bleiben kann, nenne ich den betreffenden Fehler einen Sitzfehler.

Im Spätherbst 1974 erschien mm der nächste Groner und heißt „Das große Groner Wien Lexikon”, ohne jeden Bindestrich. Die Anlage des Werks ist neu überdacht, ein Aufsatz über die Entwicklung Wiens ist dazugekommen und ein Straßenverzeichnis, Literaturhinweise und andere begrüßenswerte Neuerungen. Von A bis Z finden nun zwei Durchgänge statt: einmal biographisch, einmal topographisch.

Ich wollte jubeln, doch ich war ein durch die letzte Ausgabe gebranntes Kind und blätterte zunächst in dem biographischen Teil. Ich freute mich über viele, die da sind, dann stolperte ich über den unrichtig geschriebenen Vornamen, .Moritz” von Moriz Benedikt, verwies mir aber jede Aufwallung — man soll nicht so sein — wenn’s weiter nichts ist! Dann fand ich als Schreibweise eines Burgtheaterdirektornamens abwechselnd „Burckhardt” und „Burck- hard” (um festzustellen, welche richtig ist, hätte ich aufstehen müssen), wieder verbat ich mir Zomes- ausbrüche — doch dann fing ich systematisch zu suchen an; wen ich da nicht fand, das war, um es leger auszudrücken, sagenhaft und ging über „wenn’s weiter nichts ist” weit hinaus.

In das Wien-Lexikon nicht aufgenommen wurden zum Beispiel die Komponisten Benatzky, Heuberger, Schmidt, Schreker, Marx, Hauer, Goldmark, Kienzl, Weinberger, Drechsler, Komgold, Czerny, Bittner, Adolf Müller. Es fehlen: Eduard Kremser, der Graphiker Schmutzer, die Maler Schindler, Dobrowsky, Tina Blau, die Burgtheaterdirektoren Heine, Paulsen, Thimig, die Autoren Andrian, Beer-Hofmann, Ebner-Eschenbach, Meisl, Gleich, Werfel, Schönherr, Stoessl, Speidel, Kümberger, es fehlen Guido Adler, Max Adler, Moritz Schlick, Emst Mach, der Physiker Pauli, der Nestroy-Herausgeber Rommel. Ferner ist Österreichs letzter Kaiser, Karl, weder unter H (Habsburg) noch unter K zu finden I Nun könnte man sagen, daß eben irgendwo eine Grenze gesetzt ist und daß über Aufnahme und Weglassung bei jedem Sammelwerk die Meinungen geteilt sind. Mag sein. Doch trifft dies auf Kaiser Karl nicht zu. Ferner meine ich, daß man bei einem Wien-Lexikon dem Geisteserbe der Stadt verpflichtet ist, daß die von mir zusammengestellten Namen mei ner Meinung nach ein Existenzminimum darstellen und daß, immer meiner Meinung nach, eigentlich in einem Wien-Lexikon auch Autoren wie Hans Adler, Leo Perutz, Felix Dörrmann, Victor Leon, Hans von Chlumberg, Hans Kaltneker, Otto Soyka zu finden sein müßten, Komponisten wie Kauder, Kanitz, Kor- nauth, Lustgarten, daß gerade bei der notorischen Totschweigemethode bundesdeutscher Nachschlagewerke gegenüber österreichischen Namen und Werken jedes in Österreich erscheinende Nachschlagewerk ganz besondere Verpflichtungen hätte.

Mit stilistischen Entgleisungen will ich nicht rechten. Ich gehe zum topographischen Teil über.

Zunächst ein kleines Aufatmen: Der Architekt Haerdtl heißt nicht mehr fälschlich Oskar, sondern rechtens Oswald — einige 1965 abwesende Denkmäler sind jetzt anwesend, darunter das Stifterdenk- maL Auch der Stifter-Gedenkraum ist erwähnt, aber weder unter St noch unter Mu (Museum), sondern unter Mö (Mölkerbastei). Hingegen steht immer noch der unrichtige Titel „Axel vor der (statt: an der) Himmelstür” in dem Lexikon, immer noch eine unrichtige Gesohichte des Johann-Strauß-Theaters (später „Scala” genannt), immer noch vermisse ich wichtige Kaffeehäuser, zum Beispiel das Cafė Herrenhof und das Cafė Dobner. Die Geschichte der Redoutensäle ist inkomplett, die Geschichte des Schönbrunner Schloßtheaters endete 1908. „Der Schwierige” von Hofmannsthal wurde nicht, wie das Lexikon behauptet, in Wien uraufgeführt.

Ein kleines Beispiel für die redaktionelle Schlamperei des Unternehmens: Unter einem Bild des Justizpalasts ist zu lesen, daß er nach dem Brand von 1927 „stark verändert” wurde — sechs Zeilen weiter unten im Text wurde er in „etwas veränderter” Form wiederhergestellt.

Ich suchte unter K die Kammerspiele und fand sie nicht. Ich suchte unter A das Akademietheater und fand es nicht Ich erinnerte mich an den Stifter-Gedenkraum und suchte die beiden Theater unter Mö, doch fand ich sie auch dort nicht.

Dann suchte ich eine Institution, die ich schon 1965 vergeblich gesucht hatte. Ich suchte sie unter K (Konzerthaus), unter M (Musik), unter A (Akademie) vergeblich. Dann erhob ich mich ein einziges Mal aus meiner sitzenden Position, griff nach einem wirklich verläßlichen und umfassenden Nachschlagewerk über Wien und holte mir aus dem Wiener Telephonbuch den offiziellen Wortlaut der Institution: „Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien”. Dann suchte ich sie unter H und fand sie nicht. Dann suchte ich nach Worten und rang nach Luft. Diese Hochschule existiert für das sogenannte Große Wien Lexikon nicht!

Und so etwas wird in einer Auflage von zehntausend Exemplaren hergestellt und soll die Welt über Wien informieren!

Für die nächste Auflage empfehle ich keine „etwas veränderte”, sondern eine „stark veränderte” Form. DAS GROSSE GRONER WIENLEXIKON. Hsg. von Felix Czeike. Molden-Verlag, Wien. 912 Seiten, 574 Abbildungen, S 1200.—.

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