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Der Tod eines Vergessenen

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In einem Spital in der Stadt Gorki starb am 5. Februar der frühere Diktator der ungarischen Volksdemokratie, Mátyás Rákosí. Er ist neun- undsiebzig Jahre alt geworden, in seinem Exil in den letzten 15 Jahren in der Sowjetunion. Eine Generalamnestie ließ auch seine Taten ungesühnt, für das Regime Kádár war er aber untragbar. So erlaubte man ihm nicht, in die Heimat zurückzukehren.

Die Heimat: das war für den Revo lutionär und auch den Parteifunktionär Rákosí stets eine Frage des jeweiligen Blickpunktes. Auch er, wie noch einige von den späteren Protagonisten der Revolution in Ungarn, entstammte einer jüdischen Bankiersfamilie, genoß, wie man so sagt, eine sorgfältige Erziehung im Ausland, stieß zur sozialistischen Bewegung, wurde 1919 Politkommissär unter Béla Kun. Sein Hochverrats- prozeß in Budapest war, dank des weltweiten Echos, eine der kleineren Weltsensationen der frühen dreißiger Jahre: Er verhöhnte und beschimpfte seine Richter wie sein Genosse Dimitroff es in Berlin während des Reichstagsbrandprozesses tat und die Kommunarden es heutzutage tun. Denn so verlangte und verlangt es die revolutionäre Praxis. Später, am Vorabend des Hitler- Stalin-Paktes, wurde er gegen Hon- véd-Fahnen, die Kriegsbeute der Russen aus dem Jahre 1849, ausgetauscht. Er erschien erst wieder im Frühjahr 1945 in Ungarn, in Begleitung der einrückenden Sowjettruppen.

Berühmt wurde dann seine .Salamitaktik“. Zunächst war er ein bescheidener Staatsminister. Er war aber im Land der einzige, der wußte, was zu tun war. Er war „Lieblingsschüler“ Stalins. Von diesem wenig geachtet, wie es verschiedene Memoiren bezeugen, aber benützt. Er gab die erhaltenen Richtlinien weiter. Gnadenlos. Inzwischen feierten ihn die eingeschüchterten Dichter, seine Güte, seinen Weitblick. Nach dem Tode des Herrn im Kreml mußte er aus der ersten Reihe weg. Er blieb aber in der zweiten sitzen: so im Budapester „Parlament“, als 1953 der neue Ministerpräsident namens Imre Nagy sein Tauwetterprogramm vorlas. Da sah man die gedrungene Gestalt Räkosis dicht hinter ihm. Er konnte warten.

1955 kam er noch einmal! zurück. Aber die Schatten der Hingerichteten, des László Rajk und unzähliger Genossen, wurde immer länger. Im Süden machte Chruschtschow seinen Frieden mit Erzfeind Tito. Auch die Selbstkritik nützte nichts mehr. Rákosí mußte gehen, noch vor den Oktobertagen des Jahres 1956. • bno mebei^tiM -

Dann wurde er vergessen. Die Meldung von seinem Tod brachten die Zeitungen in kurzen Einspaltem.

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