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GEORG LUKACS / EIN UNBEQUEMER MARXIST
I. r.
I. r.
Um es gleich vorwegzunehmen: Der heute 80jährige marxistische Literaturwissenschaftler Georg Luk6.cs war zeit seines Lebens hauptsächlich, für seine nähere Umgebung unbequem, für jene Kommunisten, die ihm in Linientreue weit voraus waren und für die er daher stets ein Ärgernis war, ferner auch, und dies in zunehmendem Maß, für linke Intellektuelle außerhalb der kommunistischen Machtsphären, die sich durch Lukäcs — in zweierlei Hinsicht — verraten fühlten, nämlich enttäuscht, da sie ihn weiterhin an den Maßstäben seiner literarischen Anfänge messen wollten, und zum Teil auch entlarvt, weil der spätere Lukäcs die Gefährdung des Linksintellektualismus durch die leninistische DialeJcti/c offenbarte. Für alle anderen konnte Lukäcs schon aus dem Grund nie unbequem und schon gar nicht gefährlich sein, weil er bereits früh aufhörte, ein Gesprächspartner über die Gräben zu sein. Was aber ein Fehler war: Man hat ihn, ausgenommen in bestimmten literarischen Zirkeln, aus den Augen verloren.
Als er unmittelbar nach Ende des zweiten Weltkriegs plötzlich in der Schweiz auftauchte, um mit Jaspers über Gegenwartsprobleme der europäischen Geistigkeit öffentlich zu diskutieren, schien er für viele aus einer bereits abgeschlossenen Geschichte hervorgetreten zu sein. Er hat sich dann in den seither vergangenen 20 Jahren seinen Zeitgenossen noch oftmals in Erinnerung gerufen.
Der 1885 geborene Georg Lukäcs entstammt einer großbürgerlichen, durch Kaiser und König Franz Joseph geadelten Budapester Familie. Sein Vater war ein erfolgreicher jüdischer Bankier, er selbst ein junges Genie, das sich bereits in der Schulbank an der europäischen, hauptsächlich der deutschen Philosophie und Literatur orientierte und die geistigen Erscheinungen in seinem Heimatland wie exotische Pflanzen betrachtete. Während der literarische Aufbruch in Ungarn nach der Jahrhundertwende einem Höhepunkt zustrebte, dem nur die erste große Blütezeit der ungarischen Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch um einiges voraus war, nahm Lukäcs an diesen Vorgängen nicht einmal als Beobachter teil, sondern studierte in Heidelberg, strebte als Literatursoziologe einem Georg Slmmel nach, war der von diesem stets sehr beachtete Gesprächspartner Max Webers und veröffentlichte sein erstes gewissermaßen „klassisch“ gewordenes Werk, die „Theorie des Romans“, in deutscher Sprache.
Seinen Sprung vom deutschen Idealismus zum Marxismus und von dort zur leninistischen Praxis vollführte er von einer breiteren Öffentlichkeit unbemerkt. Man wurde auf ihn aufmerksam, als er in der kurzlebigen Räterepublik des Bela Kun Kulturkommissar und In der gegen die Tschechen kämpfenden ungarischen Roten Armee Politkommissar wurde. Als das Horthy-Regime nachher von Österreich seine Auslieferung verlangte, setzten sich dagegen 1919 in einem Aufruf Heinrich und Thomas Mann, Richard Beer-Hofmann, Richard Demel, Alfred Kerr und noch andere ein: „Nicht der Politiker, der Mensch und Denker Georg von Lukäcs soll verteidigt werden...“ Er wurde nicht ausgeliefert, ging später in die Sowjetunion, kehrte 1945 nach Ungarn zurück, wurde Professor, operierte auf der damals höchst gefährlichen Ebene der Literatur-kritik äußerst vorsichtig, erklärte sich für die Beurteilung des „Sozialistischen Realismus“ als nicht zuständig und hielt es lieber mit Goethe, Balzac und Thomas Mann, aber stets als Marxist, selbstverständlich. 1956 trat er im „Petöfl-Krels“ auf, mit Imre Nagy war er interniert, dessen Regierung er — wenige Tage nur — angehörte. Seither lebt er in selbstgewählter Einsamkeit in Budapest und schreibt an seiner marxistischen Ästhetik.
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