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Die Beginen - überlebt und doch modern

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Die „Beginen” - das sind weder zierliche Topfpflanzen, noch ist dem Drucker ein Mißgeschick beim Setzen des Wortes Beduinen passiert, sondern - na, darum geht es in diesem Beitrag....

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Die „Beginen” - das sind weder zierliche Topfpflanzen, noch ist dem Drucker ein Mißgeschick beim Setzen des Wortes Beduinen passiert, sondern - na, darum geht es in diesem Beitrag....

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Bei unserer Belgienfahrt stießen wir in mehreren Städten Belgiens auf sogenannte „Beginenhöfe”, abgeschlossene Oasen mitten in einer modernen Stadt. Es handelt sich dabei um kleinere Häuschen, zum Teil freistehend, zum Teil zusammengebaut, meist um einen Innenhof gruppiert: Die Wohnungen der Beginen.

Sowohl die Bedeutung des Namens wie auch der Beginn der Bewegung liegen im Dunkel. Im 12. Jahrhundert wurde ganz Europa von einem neuen religiösen Eifer erfaßt. Besonders in Belgien, aber auch in anderen Ländern Nordeuropas faßten Frauen den Entschluß zu einem apostolischen Leben. Die Tatsache, daß in dieser

Zeit die Fehden, Kriegszüge und Kreuzzüge einen Frauenüberschuß bewirkten, dürfte dabei mitgespielt haben. Dazu kommt noch, daß ärmere Frauen und Mädchen, die ins Kloster eintreten wollten, die von ihnen geforderte Mitgift nicht stellen konnten.

Andererseits fürchteten reiche Frauen und Witwen, durch einen solchen Eintritt fürs ganze Leben in ein Kloster gesperrt zu werden. Manchmal waren Frauen auch durch Krankheit daran gehindert, sich voll einem Klosterleben zu unterwerfen. Jedenfalls traten solche Frauen nicht in bestehende Ordensgemeinschaften ein. Sie wählten eine neue Lebensform. Diese wandelte sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte und duchlief im wesentlichen vier Phasen:

□ Erste Phase: Die „frommen Frauen” (wie sie genannt wurden), die ein apostolisches Leben führen wollten, blieben zunächst in ihrem Lebensbereich, zogen weder aus ihrer Familie aus, noch gaben sie ihren Beruf auf. Die mittelalterlichen Chroniken sprechen von „frommen Frauen, die je für sich in der Welt leben und keine gemeinschaftlichen Regeln besitzen”.

□ Zweite Phase: Die alleinlebenden Beginen sahen sich bald einer eher feindseligen Haltung der Geistlichkeit gegenüber. Deshalb strebten sie nach Gemeinsamkeit. Ein weiterer Grund: Man befand sich in einer Epoche, die auch durch Zusammenschlüsse im gesellschaftlichen Bereich gekennzeichnet war. Allerdings schlössen sich die Beginen noch kaum zu festen Gemeinschaften zusammen, aber die Bindung an ein gemeinsames geistliches Programm wurde immer häufiger.

Verpflichtende Gebetszeiten

Es wurden „Meisterinnen” als Vorsteherinnen der Kommunitäten ernannt. Ausdruck des gemeinsamen Lebens waren die regelmäßigen Zusammenkünfte, gemeinsame Übungen, Werke der Nächstenliebe und verpflichtende Gebetszeiten.

□ Dritte Phase: Unter dem Einfluß der herrschenden Vorstellung über ein geistliches Leben, aber wohl auch aus jeweils aktuellen Notwendigkeiten heraus, strebzen manche Gruppen nach einem noch engeren Zusammenschluß. Sie siedelten sich in einem Stadtviertel oder in einem bestimmten Bezirk an, den ihnen die Obrigkeit zuwies. Das war die Wiege der Beginenhöfe, die an manchen Orten fast zu kleinen Städtchen wurden.

□ Vierte Phase: Eine Reihe von Begi-nenhöfen entwickelten sich zu Pfarreien mit eigenem Pfarrer an jenen Orten, wo die Zahl der Beginen sehr groß geworden war. Diese Höfe erhielten sogar gewisse Exemptionen und zusätzliche Rechte. Beispielsweise behielt sich der König die Rechtssprechung in diesem Bereiche selbst vor.

Neben der Kirche gab es kleine Häuser, in denen jeweils eine oder höchstens zwei Beginen für sich lebten; Gemeinschaftshäuser, in denen mehrere Beginen in Gemeinschaft lebten; ein Krankenhaus und meist auch noch ein Armenhaus. Der ganze Bereich bildet sozusagen einen kleinen Stadtkern, von Mauern umgeben und manchmal auch von einem Wassergraben umflossen. Im Bereich des Hofes galt das allgemeine Asylrecht.

Die Beginen waren der Autorität einer auf zwei bis drei Jahre gewählten Superiorin unterworfen. Sie sollten sich einfach kleiden. Sie legten Gelübde ab, jedoch keine ewigen. Ihre Gelübde beschränkten sich auf Keuschheit und Gehorsam, nicht auf die Armut, doch waren sie zu bescheidener Lebensführung verpflichtet.

Im Tagesablauf hielten die Beginen nach der Messe eine Gebetsstunde; dann zogen sie sich in ihre Häuschen zurück und widmeten sich einer Handarbeit, woraus sie ihren Lebensunterhalt finanzierten. Sie spannen, stickten, klöppelten Spitzen oder erteilten Unterricht und versorgten die Kranken in der Stadt. Die Beginen durften allein und ohne Genehmigung den Beginenhof verlassen. Allerdings herrschte strenge Disziplin, und gelegentlich kam es auch zu einem Ausschluß. In der Zeit von 19.00 bis 21.00 Uhr trafen sie sich wieder im großen Saal, erholten sich, plauderten miteinander und kehrten dann schweigend in ihre Häuschen zurück. Am Sonntag wurde meist nachmittags ein kleines Fest im Hause der Superiorin gefeiert.

Der Abstieg der Gemeinschaft

In einzelnen Gemeinschaften traten gelegentlich sektiererische Tendenzen auf, die von der Hierarchie nicht geduldet werden konnten. Dies und das allgemeine Mißtrauen der kirchlichen Obrigkeit gegenüber solchen nicht ganz „koscheren” Gemeinschaften, die sich von den regulären Orden deutlich unterscheiden, höhlten die innere Spannkraft aus.

Dazu kamen die Zerstörungen und Enteignungen durch die Französische Revolution, später auch in der Gesellschaft auftretende antiklerikale Tendenzen, und schließlich machten die negativen wirtschaftlichen und moralischen Folgen des Ersten Weltkrieges der ganzen Einrichtung den Garaus. Jedenfalls ist die Institution der Beginen nach dem ErstenWeltkrieg im wesentlichen erloschen. Da und dort lebt heute noch eine „letzte Mohikanerin”...

Diese großartige Einrichtung hat jedenfalls viele Stürme der Zeit überstanden und sich bestens bewährt. Die Selbständigkeit dieser Leute war für die damaligen Jahrhunderte ungewöhnlich. Im Hochmittelalter gab es in Belgien 94, in Deutschland 54, in Holland 38, in Frankreich 36, in Öster-rich-Ungarn drei, in der Schweiz und in Italien je zwei, in England und Polen je einen Beginenhof.

Der Historiker Godfried Kurt meint, daß es keine Einrichtung der Vergangenheit in der Kirche gibt, über deren Verlust man mehr trauern müßte.

Welche Folgerungen ergeben sich für unsere Zeit? Die Anziehungskraft der herkömmlichen Frauenorden hat stark nachgelassen. Andererseits nimmt das Singlewesen zu, und in vielen jungen Menschen regt sich der Wunsch, die soziale und seelische Not der Menschen zu lindern. Könnte die Beginen-Idee nicht auch für unsere Zeit wieder attraktiv werden: Ohne ewige Gelübde, feste Ordensbindung eine Vita Apostolica zu leben, den erlernten Beruf in Freiheit auszuüben und in diesem Beruf christliche Ideale zu verwirklichen, dies in völliger wirtschaftlicher Selbständigkeit? Mit der Zeit würden sich so lebende Frauen (nur Frauen? Warum nicht auch Männer? Auch in Belgien soll es da und dort männliche Beginen gegeben haben) zusammenschließen und wieder Gemeinschaftsformen finden.

In einer Zeit, in der gerade in der Katholischen Kirche neue Ideen und Lebensformen rar geworden sind, könnte diese alte und durch Jahrhunderte hindurch bewährte Idee wieder mit neuem Leben erfüllt werden.

Der Autor ist Rechtsanwalt in Innsbruck.

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