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Die beiden Feuerbrände

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Der franziskanische Neuaufbruch im Mittelalter wird meist als christliches Elementarereignis aufgefaßt und dementsprechend einzig vom Evangelium hererklärt. Wennmanaberdie Augen über den damals so kleinen europäisch-christlichen Horizont hinweg in den islamischen Osten erhebt, wird man wohl nachdenklich.

Franziskus und Dominikus waren Gründer christlicher Bettelorden. Im Islam derselben Zeit gab es ebenfalls Bettelorden, die Derwische. Das Wort darwis wird aus dem Persischen abgeleitet, und als „Tür-Absucher" im Sinne von „Bettler" erklärt. Nach ihrer Kleidung werden sie auch süfi genannt, was nichts anderes heißt als „Kuttenträger"; denn sie trugen das aus Wolle (süf) gewobene Gewand der Armen. Das deutsche Wort „Kutte" kommt aus dem mittellateinischen cotta und bezeichnet ebenfalls das grobe Schafwollkleid der armen Leute.

Wir stellen also fest, daß sowohl im christlichen Westen wie auch im islamischen Osten zur selben Zeit eine Armutsbewegung aufbrach, deren äußeres Zeichen die Kutte aus Schafwolle war. Die Historiker stellen die Frage, wann solche Armutsbewegungen auftauchen. Und ihre Antwort darauf: am Wendepunkt einer Hochblüte der Zivilisation, zu einer Zeit, in der sich bereits Verfallserscheinungen anmelden.

In der Kreuzfahrerzeit wurden Ost und West tatsächlich so stark erschüttert, daß hüben und drüben neue, von starken Persönlichkeiten getragene, religiöse Lebensformen entstanden. Der Christ Franz von Assisi ist wohl bekannt; aber er hatte auch einen muslimischen „Bruder".

Es handelt sich hierbei um den Lehrmeister Schahabu-d-Dfn, Omar bin Muhammad, Suhra-wardi, zu deutsch: Feuerbrand der Religion, Omar Sohn des Muhammad, Wachsame Rose. Bekannt ist er vor allem unter dem Namen Suhrawardi. Er lebte im Gebiet des heutigen Irak und Iran von 1145 bis 1234. Franziskus lebte von 1181 bis 1226.

Diesem „Feuerbrand" ging es darum, nicht bloß den äußeren, sondern vielmehr den inneren Weg der Meditation zu weisen, der zu Aufstieg und zur Vereinigung mit Gott führt. Daher schrieb er das Buch Awarifu-l-Ma'arif, wörtlich „Kenner der Erkenntnis", sinngemäß „Meister der Meditation". Dieses Büchlein kann geradezu als Ordensregel der Derwische bezeichnet werden.

Die ersten Kapitel handeln über die äußeren Formen des Ordenslebens: Pflichten des Magisters, der Novizen; Tragen des Mönchsgewandes, Verhalten bei den religiösen Übungen, vor allem beim heiligen Tanz; dann folgt aber die Einführung in den mystischen Weg des Aufstieges zu Gott.

Auf Einzelheiten können wir hier nicht eingehen, wir heben aber einen Abschnitt aus dem Kapitel Muhabbat (Liebe) in freier Ubersetzung heraus, der an den Sonnengesang erinnert:

Die Liebe zu Gott zeigt sich in der Neigung des Herzens, alle Schönheit der Schöpfung hingebungsvoll zu betrachten — Betrachte den Mond, die Sonne, das Licht, das den Wesen erst ihren Glanz gibt —Ahme das Reine und Schöne nach, und entsage dem Unreinen und Bösen — Trinke den besten, versiegelten uralten Wein aus der absolut reinen Quelle — Dein Herz ist ein Becher, der Wein aber die berauschende Schönheit der Schöpfung — Das Staunen über die Schöpfung erwecke das größere Staunen über dich selbst — Jeder Augenblick soll Ihn festhalten, jeder Atemzug mit Ihm, dem Geliebten, vereinen — Mit jedem Grad der erlebten Nähe des Geliebten in der Schöpfung wird die Sehnsucht nach Ihm noch größer; denn wie die Schönheit des Geliebten (Gottes) endlos ist, so ist auch die Sehnsucht nach ihm endlos — Die geschaffene Schönheit muß man bejahen, weil sie Zeichen des Geliebten ist, zugleich aber verneinen, weil sie nicht Er selbst ist.

Franziskus und Suhrawardi waren beide Feuerbrände Gottes.

Dieser kurze, fragmentarische Auszug könnte zeigen, daß Europa und der Nahe Osten, Christentum und Islam mehr Gemeinsames hatten, als man gewöhnlich annimmt. Will man das jeweils Typische des einen erkennen, muß man zugleich auch auf das Antlitz des anderen blicken.

In englischer Übersetzung erstmals zugänglich in: A Oervish Textbook from the'AWARIFU-L-MA'ARIF. written in the XIHth Century by Shaikh Shahabu-d-Dfn Suhrawardi; translated into English by H. Wilberforce Clarke. The Octagon Press, London 1980 (freies Zitat von Seite 101-104). >

Univ.-Prof. DDr. Claus Schedl ist Vorstand des Instituts für Religionswissenschaft an der Universität Graz.

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