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Die Bonner Tragikomödie

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Über Wochen beschäftigte die bundesdeutsche Öffentlichkeit die Affäre Kießling, die zum Wörner-Skandal wurde. Nach klassischer Art eines Kuhhandels beendete Bundeskanzler Kohl die Tragikomödie. Wörners Image als fähiger Verteidigungsminister ist freilich irreparabel beschädigt.

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Über Wochen beschäftigte die bundesdeutsche Öffentlichkeit die Affäre Kießling, die zum Wörner-Skandal wurde. Nach klassischer Art eines Kuhhandels beendete Bundeskanzler Kohl die Tragikomödie. Wörners Image als fähiger Verteidigungsminister ist freilich irreparabel beschädigt.

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Die Angelegenheit sei damit erledigt, sagte Bundeskanzler Helmut Kohl vor der überfüllten Bundespressekonferenz. Soeben hatte er den Wortlaut zweier Briefe verlesen, die im gegenseitigen Austauch zwischen dem im Dezember 1983 vorzeitig in den Ruhestand versetzten General Günter Kießling und dem Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner zu seiner, Kohls Zufriedenheit eine Affäre beenden sollten.

Noch während der Kanzler seine heikle Mission in Israel absolvierte, schien es den Beobachtern der Bonner Polit-Bühne unausweichlich, daß der Verteidigungsminister über den Fall Kießling sein Amt verlieren würde. Aber Helmut Kohl wollte nicht den Kopf seines Ministers, sondern einen Kompromiß.

Den hat er auch zustande gebracht, nach klassischer Art eines Kuhhandels. Wörner bleibt Chef der Bundeswehr. Dafür mußte der den geschaßten General, der seine verlorene Ehre zurückverlangte, rehabilitieren. Das bewerkstelligte ein Satz in Wörners Brief an Kießling, der das Eingeständnis enthielt, die Versetzung in den Ruhestand sei eine Fehlentscheidung gewesen. Dafür bescheinigte der also mit seiner Ehre wieder ausgestattete Kießling, Wörner habe bei seiner Entscheidung pflichtgemäß gehandelt. Da kenne sich noch einer aus.

Freilich, wer den beteiligten Personen an dieser Tragikomödie nicht nur Hohn und Spott, sondern Gerechtigkeit widerfahren lassen will, muß den Ablauf der Ereignisse noch einmal nachzeichnen:

Im Sommer des vergangenen Jahres erhielt das Amt für Sicherheit der Bundeswehr (ASB) aus dem Ministerium einen Hinweis, der NATO-Oberbefehlshaber General Rogers weigere sich, mit dem deutschen Stellvertreter Kießling weiter zusammenzuarbeiten, weil der händchenhaltend mit einem Offizier beim Spaziergang im Park gesehen worden sei. Sofort begann das, was in solchen Fällen immer geschieht:

Weil die Lebensführung von Bundeswehroffizieren um so untadeliger sein sollte, je höher ihre Stellung und damit ihr Zugang zu Geheimmaterialien ist, wurde amtlicherseits eine erneute, diskret durchzuführende Sicherheitsüberprüfung angeordnet, um auszuschließen, daß einer der höchsten Geheimnisträger der Bundeswehr wegen seiner möglichen Neigungen erpreßbar wird.

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) übernahm die Aufgabe, und die Angelegenheit nahm ihren bekannten Lauf. Es ist müßig, die Einzelheiten noch einmal aufzuzählen, die in aller Breite in der deutschen Presse ausgewalzt wurden—je schlüpfriger, desto ausführlicher. Wichtig ist vielmehr die Rolle des Ministers.

Er hatte zu entscheiden, was im Falle Kießling zu geschehen habe. Er ordnete zum Beispiel an, daß — nach einem Gespräch mit dem General im September, bei dem man sich auf eine vorzeitige Pensionierung zum 31. März 84 einigte - keine weiteren Nachforschungen in der Sache angestellt würden.

Zwei Monate später beugte er sich der bürokratischen Unerbittlichkeit seines Staatssekretärs Hiehle, der eine nicht abgeschlossene Sicherheitsüberprüfung für unmöglich erklärte. Also wurde noch einmal geschnüffelt, und das Kölner Schwülen-Milieu offenbarte sich. Manfred Wörner stand vor einer schwierigen Entscheidung: Wenn es stimmte, was der MAD über das abredewidrige Auftauchen General Kießlings in der Kölner Homo-Szene unter Berufung auf Zeugen berichtete, blieb ihm aufgrund der Sicherheitsvorschriften keine andere Wahl, als Kießling sofort in den Ruhestand zu versetzen.

Dabei ging es gar nicht darum nachzuweisen, ob der General homosexuell ist oder nicht. Einzig der Aufenthalt im zweifelhaften Milieu war relevant für Bedenken hinsichtlich der .Sicherheitsbescheide für Kießling.

Sicher, der Minister hätte die merkwürdigen Ermittlungsergebnisse seines Sicherheitsdienstes beiseite schieben und bei der ursprünglichen Abmachung mit Kießling - Pensionierung zum 31. März — bleiben können. Aber was wäre geschehen, wenn sich bis dahin herausgestellt hätte, daß einer der ranghöchsten Offiziere der Bundeswehr sich tatsächlich mit Strichjungen herumtreibe? Das dann zu erwartende öffentliche Spektakel mit den unausweichlichen peinlichen Fragen an den Minister schien Wörner das größere Risiko zu bergen als eine sofortige Pensionierung in aller Stille.

Freilich hat er die Infamie seines Ministeriums unterschätzt. Denn auf neugierige journalistische Anfragen, wieso Kießling derart heimlich aus dem Verkehr gezogen worden sei, konnten einige Wichtigtuer es sich nicht verkneifen, per gezielter Indiskretion die angebliche Homosexualität des Generals als Grund anzugeben. Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Denn prompt interessierte sich niemand mehr dafür, ob Wörners Entscheidung pflichtgemäß gewesen war, sondern nur noch, ob man denn den ungeheuerlichen Vorwurf, Kießling treibe Umgang mit Strichjungen, beweisen könne. Das Ministerium verstrickte sich daraufhin immer mehr in Widersprüche.

Wörner selbst war in der Sache zum Schweigen verurteilt.

Unterdessen wurde von Woche zu Woche deutlicher erkennbar, daß Wörner zwar in der Lage sein würde, den zeitweiligen Aufenthalt Kießlings in einer Kölner Homosexuellenbar beweisen zu können. Aber die Kernfrage, ob der General dadurch zum Sicherheitsrisiko geworden sei, weil er möglicherweise erpreßbar wäre, wurde immer weniger mit einem klaren Ja beantwortet.

Inzwischen weiß man, daß die Beurteilung dieses Faktums durch die zuständigen Herren auf der Hardthöhe nicht zutreffend war. Da hat Wörner einen ersten entscheidenden Fehler gemacht. Er war zu vertrauensselig in einer Sache, die einem erfahrenen Politiker als höchst delikat und damit doppelt und dreifach abzusichernd hätte vorkommen müssen.

Den zweiten Fehler beging Wörner, als er die ungeschickte Öffentlichkeitsarbeit seines Ministeriums in dieser leidigen Angelegenheit nicht unter seine Kontrolle brachte. Und den dritten Fehler machte er, als er trotz unbeholfenen Krisenmanagements den Eindruck nicht verdrängen konnte, er klebe an seinem Amt. Das zusammen hat das Image vom fähigen Verteidigungsminister Wörner irreparabel beschädigt.

Daß der Bundeskanzler trotzdem den Rücktritt Wörners ablehnte, hat sowohl mit Personalpolitik zu tun (es gibt keinen Ersatz, und Strauß mußte von Bonn ferngehalten werden) als auch mit der von den Ministerkollegen im Kabinett voll geteilten Ansicht, man dürfe nicht von einer „wildgewordenen Journalistenmeute" sich die Minister abschießen lassen. Lambsdorff wird ja auch durchgeschleppt.

Außerdem hat der dickfellige Kohl nicht zu Unrecht die Rechnung aufgestellt, daß in wenigen Wochen ohnehin keiner mehr über die Sache rede. Es sei denn, der parlamentarische Untersuchungsausschuß, der letzte Woche seine Arbeit aufnahm, fördert weitere Merkwürdigkeiten in der Affäre Wörner/Kießling zutage.

Dann freilich steht nicht mehr der Minister in der Schußlinie, sondern der Kanzler, der mit seiner „Lösung" des Falles alle Verantwortung auf sich geladen hat.

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