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Die Dichter und der Geist

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„Wir wissen nicht einmal, daß es ihn gibt, den Heiligen Geist!“ erwiderten die Jünger in Ephesos dem heiligen Paulus, als er sie fragte, ob sie schon den Heiligen Geist empfangen hätten. Diese Männer waren nicht darauf aus, einen guten Eindruck zu machen; sie wollten wirklich etwas erfahren, was sie noch nicht wußten.

Immer wieder, wenn wir die Heiligen Schriften lesen, begegnen wir Menschen, die diesen Mut haben: Fragen zu stellen - und keine Angst, sich damit zu blamieren. Dies ist wohl Anzeichen jener Armut im Geiste, die Voraussetzung allen inneren Fortschritts ist...

Wissen wir, wovon wir reden, wenn wir vom Geist sprechen? Vermutlich ebensowenig wie die Männer in Ephesos. Wir gewöhnen es uns auch allmählich ab. Von Inspiration zu sprechen, ist unmodern geworden.

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ Wirklich? Ich meine, die Dichter können gar nicht nach dieser Maxime handeln, denn eben jene Erlebnisse, Erfahrungen und Hoffnungen, von denen man im Alltag nicht redet, die man Freunden im Gespräch nicht verständlich machen kann, weil sie in kein Schema passen, weil sie unbegreiflich oder doch unerklärlich sind - gerade sie drängen zum Ausdruck in der Sprache der Kunst.

Selbstverständlich möchte der

Dichter anderen etwas mitteilen; aber erst in zweiter Linie. Vor allem will er selbst, im Vollzug seiner Arbeit, ein-sehen, Zusamenhänge entdecken. Oft wird auch er geführt, „wohin er nicht will“, wenn er sich der Eingebung überläßt und mit gewissenhafter Genauigkeit aufzeichnet, was er zu sehen bekommt. Zuweilen überrascht es ihn selbst. Der Geist, der zugleich Hauch ist, weht nicht nur, wo er will, er entrückt auch, wohin er will.

Der Lehmkörper Adams empfing Leben durch den „Odem“ Gottes. Der Atem ist nicht nur sinnbildlich das, was Lebendigsein ausmacht! Denken wir an die „künstliche Beatmung“, wenn der Retter dem Sterbenden seinen Atem einbläst und so den Organismus wieder in Gang setzt. So ist die Heilige Schrift immer zugleich Gleichnis und ganz konkret - und deshalb ganz wörtlich zu nehmen!

Die frühen Christen erkannten jene, die den Heiligen Geist empfangen hatten, daran, daß sie Gott priesen und in Zungen redeten. Sie waren in jedem Sinne „begeistert“, so sehr, daß sie den meisten unverständlich wurden. Die hielten sie für betrunken.

Auch große Dichtung wird kaum je sofort verstanden. Der Leser oder Hörer muß sich die Mühe machen, nachzuvollziehen, was dem Autor

•widerfahren ist. Oft entscheidet erst die Nachwelt, wer wirklich noch nicht Gesagtes, nicht so Gesagtes, auszudrücken vermochte und deshalb zunächst „dunkel“ erschien, wie etwa Hölderlin oder auch Trakl - und wer sich nur die Geste des Propheten und sein „Zungenreden“ angemaßt hat, dem Irrtum Vorschub leistend, Unverständlichkeit sei ein Indiz für Genialität...

Da sollte man nachprüfen, ob das Lob Gottes, die Zustimmung zur Schöpfung, Grundakkord des zunächst unzugänglichen Werkes bildet, wie er noch im schmerzlichsten Aufbegehren Hiobs vernehmbar ist; denn der Geist, „der stets verneint“, dar besserwisserische, buchstäblich verzweifelte, in seinen Zweifeln erstickende, hat niemals Dauerndes hervorgebracht.

Dann ereignet es sich wieder, wie am Pfingsttag, daß die Weithergekommenen durch das Zungenreden der Begeisterten hindurch plötzlich ihre Muttersprache hören: den Herzlaut der Liebe, die wahren Namen der Dinge, die ein Kind unwillkürlich lernt. Jedes echte Erlebnis von Dichtung ist solch ein Hören in der „Muttersprache“ und löst staunendes Begreifen aus; auch und gerade gegenüber der echten Tragödie. In vielen Gestalten erscheint uns der Tröster und bringt uns den Frieden, den die Welt nicht geben kann.

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