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Die Geschichte des Theophilos

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E/A NEUER ERZÄH l. ER meldet sich zu Wort: Peter Ebner. Nach vielen Jahren der literarischen Arbeit tritt er nun vor die Öffentlichkeit mit der Erzählung ..Die Geschichte des Theophilos”. Ebner. Jahrgang 1932, hat seine Kindheit in Wien verbracht. Sieben Jahre lang lebte er in England: nach einem längeren A u/enthalt in Griechenland kehrte er dann in seine Heimatstadt zurück. Er unterrichtet an einer Mittelschule, ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Lange Zeit hindurch hat Ebner nur für die Schreibtischlade gearbeitet. Er schrieb Gedichte. Novellen und kurze Stücke. Erst allmählich fand er zur schmucklosen, ungekünstelten Epik. Es ist ihm gegeben, auch das Vielschichtige und Komplizierte einfach und eindringlich darzustellen, durch die Beschreibung der A ußenwelt zur Substanz vorzudringen, durchaus jener Forderung entsprechend, die Alberl Paris Gütersloh im Satz zum Ausdruck gebracht hat: ..Die Tiefe ist außen.” Ebners klare und auf besondere Stilmittel verzichtende Prosa ist ein gutes Beispiel der neueren literarischen Entwicklung überhaupt. Nach einer Periode der tiefenpsychologischen Analyse, nach der Verarbeitung der großen Tradition von Proust. Kafka und Joyce findet die Literatur zu einer neuen A rt von Realismus. Peter Ebner bereitet gegenwärtig einen Erzählungsband vor und plant einen neuen Roman. Durch sein Hervortreten ist Österreichs literarische Landschaft reicher geworden. q yÖR G Y SFB ESTYEN

Erzählung von PETER EBNER

Im fernen Griechenland stand einmal in der Nähe des Dorfes Kyrielis ein großes Kloster, das dem heiligen Bischof und Märtyrer Polykarp geweiht war. Heute sieht der Wanderer, der sich in diese verlassene und einsame Gegend verirrt, nur mehr einige Mauerreste. Und wenn dieser Ort nicht noch immer den, ununterbrochen zur Erde niederströmenden göttlichen Geist jn besonderem Maß sichtbar aufnehmen und sammeln würde, könnte der Betrachter fast meinen, daß es sich hier um Reste eines profanen Bauwerkes handeln möge; eines gewöhnlichen Kastells, zum Beispiel; oder eines verfallenen Gutshofes. So aber merkt doch jeder, der im Laufe seines Lebens aufmerksame Augen entwickeln konnte, daß dort geheiligter Grund sei, und daß die Mauerreste eben nur solche eines Klostergebäudes sein können. Und da es sich hier um die Geschichte des Mönches Theophilos, der vor tausend Jahren lebte, handelt, sei nun einiges über die damaligen Gegebenheiten an jenem heiligen Ort gesagt.

Damals, vor tausend Jahren also, war das Kloster dort an jenem Platz gerade am Höhepunkt seiner Entwicklung. Ja, denn ebenso wie es beim Menschen eine Jugendzeit, und dann Reife und Alter gibt, so, und warum auch nicht, uch bei einem Kloster. Damals jedenfalls war dort alles voll Leben in den verschiedenen Gebäuden. Ein Abt und ein Prior standen ungefähr siebzig Mönchen vor, die allesamt nur ein Ziel hatten, nämlich die Erde mit dem Himmel zu verbinden. Sie wollten das durch ihr Dasein, durch ihr Tun, ihr Leben und ihr Gebet erreichen; und sie wollten als Beispiel wirken, daß andere, durch sie angeregt, ebenso tun mögen.

Damals, vor tausend Jahren, war in jenem Landstrich gerade eine besonders gesegnete Zeit. Die Kriege ruhten, Mensch und Tier lebten friedlich gestimmt; und selbst die Pflanzen schienen sich an dem ununterbrochenen Lobgesang, der jener heiligen Stätte entströmte, zu beteiligen.

Folgt man Berichten aus alter Zeit, so scheint es, daß für Menschen, die sich diesem Kloster näherten, die Farbe des Laubes grüner war als sonst, die Erde dunkler, der Himmel blauer, die Menschen freundlicher.

In dieses blühende Kloster an jenem gesegneten, im Strahlen göttlichen Geistes liegenden Ort trat nun eines Tages ein junger Mann ein. Er war von schöner Gestalt und freundlichem Aussehen, jedoch ohne große Bildung. Er wurde in Liebe, wie es eben dem Geist jenes Ortes entsprach, aufgenommen, und lebte einige Zeit ohne besondere Aufgaben mit den Brüdern.

Doch bald hatte der heilige Abt jener Gemeinschaft, der ein alter und erfahrener Gottesmann war, die besonderen Begabungen des jungen Mönches erkannt. Dem jungen Menschen war nämlich eine besondere Anlage zum Schreiben, Zeichnen und Malen zu eigen. Der Neuankömmling bekam nach einem langen, einführenden Gespräch mit seinem Abt den Namen Theophilos. Und gleichzeitig bekam er aufgetragen, was später seine Lebensaufgabe sein sollte: Die Bücher der Heiligen Schrift abzuschreiben und von Kapitel zu Kapitel zu illustrieren.

Es war ein herrlicher Frühlingstag, an dem die Ausbildung des jungen Theophilos begann; ein gesegneter Tag, denn selbst die kleinen Vögel konnten an diesem Tag nicht hoch genug zum Himmel steigen und laut und lang genug jubilieren ob der Herrlichkeit, die diesen Ort umgab. Theophilos wurde also nun nicht nur im Schreiben unterwiesen, sondern auch in die Geheimnisse der Ikonographie eingeweiht. Er erlernte im Lauf der Zeit das „Heilige Zeichnen”, das doch eher strengen Gesetzen folgte. Und er bekam Unterricht, bis er seinen meisterhaften Lehrer übertroffen hatte. Von Theophilos waren ja auch die besten Anlagen mitgebracht worden.

Drei Jahre später, an einem ebenso schönen Frühlingstag, wie es der gewesen war, an dem er seine Ausbildung begonnen hatte, wurde der Mönch Theophilos, - der inzwischen auch seine heiligen Gelübde abgelegt hatte, nämlich keusch, arm und gehorsam zu sein -, mit seiner eigentlichen Aufgabe betraut. Man gab ihm Pergament, dessen Schönheit jeden, der es sah, in Erstaunen versetzte; er nahm seine gewohnten Werkzeuge, Pinsel, Federn und Farben; und er begann sein Werk.

Einer frühen Eingebung folgend, machte es sich Theophilos zur Gewohnheit, am Morgen, wenn er sein Tagwerk begann, - das außer seinen Gebeten und den Gottesdiensten in der Klosterkirche eben aus dem Schreiben und Illuminieren der Blätter bestand -, das ganze Kapitel der Heiligen Schrift von dem er eben einen Teil zu schreiben vorhatte, durchzulesen.

So kam es, daß Theophilos viel mehr las als alle seine Mitbrüder, ja als der Abt selbst. Doch die Vorgesetzten des Theophilos merkten bald, wie zuträglich solches Tun der Arbeit des Mönches war, und so ließen sie ihn gewähren. Drückten doch die Bilder, die Theophilos am Anfang der einzelnen Abschnitte der Kapitel malte, die in der Schrift dargestellten Zusammenhänge treffender aus, als man es je zuvor gesehen hatte. Und je mehr der Mönch Theophilos las und schrieb und malte und wieder las, desto mehr hatte er das Gefühl, nicht zu lesen, sondern durch eine Landschaft zu gehen; durch eine Geisteslandschaft, in der die Buchstaben Bäume waren, die Worte Baumgruppen, die sich wieder zu größeren Gebilden, zu Wäldern und Hainen zusammenschlössen.

Obwohl Theophilos sich aus seinem Umkreis, nämlich aus Gotteshaus, Kreuzgang und Schreibstube nie herausbewegte, war er von blühend frischem Aussehen. Mit der Zeit wurde dieser Umstand sowohl von seinen Mitbrüdern, als auch von seinem Abt bemerkt. Und man verwunderte sich; waren doch andere, die gleicherweise beschäftigt waren, von wesentlich weniger blühendem Aussehen. Als man ihn einmal befragte, welchen Grund er angeben könne, trotz dieser seiner Lebensweise in geschlossenen Räumen so blühend auszusehen, sagt er nur: „Was wollt ihr? Ich spaziere doch ohnehin andauernd zwischen Bäumen und Gebüsch: Und noch dazu die herrliche Sonne; und die Vögel jubilieren auf meinem Fensterbrett.”

Und der Mönch Theophilos setzte weiterhin Buchstaben an Buchstaben, Wort an Wort. Nach einigen Jahren wurde es ihm geschenkt, einen gewaltigen Schritt weitergehen zu dürfen. Nach wie vor las er, schrieb und malte, und las weiter, immer wieder. Und mit einem Mal, mit einem Augenblick sah er mehr, als er je zuvor gesehen hatte; er sah, wie der Inhalt der Heiligen Schriften, die er abschrieb und illuminierte, ihm zu einer Landschaft wurde. Ja, zu einer Landschaft, die er vor dem Schreiben und im Schreiben und Malen, und auch danach noch, durchstreifte. Er durchwanderte die Heilige

Schrift ebenso, wie ein gewöhnlicher Erdenbürger eben von einem Ort zum anderen geht - bald über freies Feld, bald durch Haine, bald über Hügel und Berge.

Anfangs merkte er, daß er mit den Menschen ging, um die sich die Heiligen Schriften gesponnen haben. Er begleitete Mose und Josua, ging mit den Richtern und den Königen, mit David und auch mit Goliath, ging mit Hiob und mit Tobias, und zuletzt mit Jesus, dem Christus, und dessen Jüngern.

Auch an jenem gesegneten Ort und in jenem Kloster gingen die Jahre dahin. Und wie sie so, eines nach dem anderen gar schnell verschwanden, blieb Theophilos selbst auch nicht stehen. Im Geschehen in und um ihn war es ihm gegeben worden, einen weiteren Schritt tun zu dürfen.

Was sich nun begab, ist nicht leicht zu erzählen. Aber es soll versucht sein. Von einem gewissen Punkt seiner Entwicklung an ging der Mönch Theophilos nun nicht mehr mit den Gestalten der Heiligen Schrift durch die Landschaft des Geschehens. Nein, die Gestalten, um die sich die Heiligen Schriften woben, sie selbst wurden ihm jetzt zur Landschaft in der er lebte, in der er sich aufhielt. Er ging nicht mehr mit Mose, sondern in ihm; nicht mehr mit Josua, sondern in ihm; und er ging in den Königen und Richtern, ging nicht mit Hiob und Tobias, sondern in ihnen.

Der Mönch Theophilos hatte begonnen, das Leben und die Taten mitsamt allen Geschehnissen in den jeweiligen Personen, die in den Heiligen Schriften handelnd auftraten, darinnen zu sehen, als Ganzheit in diesen enthalten zu sehen. So wie man eben eine Landschaft überblickt, so überblickte er, im Inneren des Wesens des Mose stehend, die Landschaft, die im Ablauf der in den Heiligen Schriften geschilderten Geschehnisse gegeben ist.

Natürlich merkte seine Umgebung diesen Fortschritt, diese besondere Gabe, die der nun schon alternde Mönch Theophilos sich erworben hatte, die ihm im Erwerben geschenkt worden war. Ganz besonders merkte man ja das Fortschreiten des Mönches Theophilos an dessen Malkunst. Denn es war ihm von jenem Zeitpunkt an gegeben, etwas zu sehen, was andere nach vieljährigem Studium nicht sehen. Etwas von diesem Blick, von diesem Schauen konnte er als Bild auf seinen Pergamenten wiedergeben, wenn er darstellte, wie zum Beispiel Mose aus dem Felsen Wasser quellen ließ, oder später, wenn Jesus zu Kanaan das Wasser zu Wein wandelte.

Und gar gegen Ende seines Lebens erlangte der Mönch Theophilos die Gabe, sich in diesen Landschaften, sei es im Geschehen in Mose, in Hiob oder in den Aposteln, aufhalten zu können, diese Landschaften begehen zu können, wie eben, wie gesagt, andere Menschen auf der Erde von einem Dorf über einen Berg, über einen Fluß, an einem See entlang zu einem anderen Ort gehen, wie eben Menschen in der natürlichen Landschaft sich fortbewegen.

In den letzten Tagen seines Lebens an jenem gottgesegneten Ort, als Theophilos die letzte Seite der Heiligen Schrift zu Ende geschrieben hatte und sein Werk vollbracht war, als der nun heilig gewordene Mönch ein letztes Mal die Blätter seines Lebenswerkes durchstreifte und las, da war es ihm, als ob er nicht mehr lese, sondern nur mehr durch Gärten ginge; durch die Seelengärten der jeweiligen Personen, um die die Heiligen Schriften gewoben waren.

Zuletzt war das Uberschreiten der Schwelle zum neuen Leben für den Mönch Theophilos eine ganz besondere Glücksstunde; war es ihm doch vergönnt, unmittelbar jenen Garten zu betreten, der alle vorher von ihm durchwanderten Gärten in sich vereint.

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