7170632-1982_44_11.jpg
Digital In Arbeit

Die Steckbriefe der Nobelpreisträger

19451960198020002020

Rund 2,5 Millionen Schilling macht ein Nobelpreis auf wissenschaftlichem Gebiet aus. Die Praxis der Preisvergabe wird aber auch auf diesem Gebiet zunehmend kritisiert.

19451960198020002020

Rund 2,5 Millionen Schilling macht ein Nobelpreis auf wissenschaftlichem Gebiet aus. Die Praxis der Preisvergabe wird aber auch auf diesem Gebiet zunehmend kritisiert.

Werbung
Werbung
Werbung

„Wie — Sie kennen ihn auch nicht?" Diese rhetorische Frage stellte ein österreichischer Chefredakteur anläßlich der Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an den Amerikaner George Stigler seinen Lesern und erschütterte damit zumindest einen, den Ordinarius der Volkswirtschaftslehre, Ökonometrie und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Wien, Univ.-Prof. Erich Streissler, der den Nobelpreis für Stigler schon lange erwartet hat:

„Stigler ist einer der renommiertesten Ökonomen und besonders mit der österreichischen Schule verbunden. Sein Hauptverdienst ist die theoretische Begründung dafür, warum es auf einem Markt unterschiedliche Preise gibt Uber Stigler werden bei uns bereits Juristen im zweiten Semester geprüft."

Streissler hält die Entscheidung des Nobelpreiskomitees auch nicht für eine Frage politischer Ausgewogenheit (im Vorjahr ging der Preis bekanntlich an den „linken" James Tobin, Stigler liegt auf Reagan-Kurs), sondern „eher könnte man sagen, daß auf einen Wirtschaftspolitiker ein Wirtschaftstheoretiker folgt".

Auch Streisslers Kollege Univ.Prof. Egon Matzner (Technische Universität Wien) hält Stigler für einen „ausgezeichneten Theoretiker", führt aber sofort drei Ökonomen an, die „permanent übergangen werden" und nach Matzners Wertschätzung weitaus würdiger und bedeutender wären: Piero Sraffa, Joan Robinson und Nicholas Georgescu-Roegen. „Das sind freilich Außenseiter, während es auf der anderen Seite Netzwerke gibt, die systematisch bestimmte Vorschläge an das Nobelpreiskomitee herantragen."

Werden die Nobelpreise für Literatur, Frieden und Wirtschaftswissenschaften immer auch politisch betrachtet, so fällt heuer auch auf die Preisträger für Medizin ein weltanschaulich begründeter Schatten. Fachlich ist den drei Preisträgern, den beiden Schweden Sune Bergström und Bengt Samuelsson sowie dem Briten John R. Vane, höchste Qualifikation nicht abzusprechen. Daß ein Ergebnis ihrer Forschungen auf dem Gebiet der Prostaglandine ein Mittel zum Schwangerschaftsabbruch in Eigenregie (ohne Arzt) ist, befremdet allerdings. Ebenso, daß sich einige von dieser von der Weltgesundheitsorganisation geförderten (!) Methode „vor allem in Entwicklungsländern ungeahnte Auswirkungen" erwarten.

Prostaglandine sind von Fettsäuren gebildete, in praktisch allen Zellen vorkommende Hormone, die bei Kreislaufstörungen,Magengeschwüren und vor allem in der Gynäkologie (Einleitung der Geburt) angewendet werden. Der Engländer Vane hat gezeigt, daß entzündungshemmende Substanzen wie Aspirin dadurch wirken, daß sie die Bildung von Prostaglandinen und nahverwandten Substanzen blockieren.

Der Hormonforscher Univ.-Prof. Elmar Bamberg (Veterinärmedizinische Universität Wien) erinnert sich daran, daß alle drei Preisträger 1972 an einer Prosta-glandintagung in der Wiener Hofburg teilgenommen haben. Den Nobelpreis für die beiden Schweden hat er früher oder später ebenso erwartet wie der Molekularbiologe Univ.-Prof. Erhard Wintersberger (Universität Wien).

Für Wintersberger war der heurige Preisträger für Chemie, der in Südafrika geborene, nun im englischen Cambridge tätige britische Biochemiker Aaron Klug, einer von mehreren denkbaren Kandidaten. Klug erhielt den Preis für sein Gesamtwerk auf dem Gebiet der kristallographi-schen Elektronenmikroskopie und die Erforschung der Struktur biologisch wichtiger Nukleinsäu-re-Proteinkomplexe.

Von besonderer Bedeutung sind die Untersuchungen Klugs zur Struktur der Nukleosomen, die die Speicherung der umfangreichen genetischen Bibliothek ermöglichen. Konkret geht es um die Lösung der Frage, wie sich die Träger der Erbinformation, die relativ (etwa einen Meter) langen DNS-Fäden in winzige Zellen „verpacken" lassen.

Wintersberger glaubt nicht, daß die angelsächsischen Länder, die bei Nobelpreisverleihungen am meisten „abräumen", einen un-einholbaren Vorsprung haben: „Die Schweiz hat — zum Unterschied von Österreich — rechtzeitig sehr gute eigene Leute zurückgeholt, die noch von sich reden machen werden. Sonst schaut es im deutschen Sprachraum allerdings derzeit schlecht aus."

Auch den Physiknobelpreis holte ein englischsprachiger Forscher, der Amerikaner Kenneth G. Wilson, der die kritischen Phänomene beim Phasenübergang (der bekannteste ist die Umwandlung von Wasser in Wasserdampf beim Erhitzen) in einer Theorie erfaßt.

Univ.-Prof. Wolfgang Kummer (Technische Universität Wien) kennt Wilson („ein würdiger Preisträger") seit gemeinsamer Tätigkeit bei der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN in Genf in den sechziger Jahren: „Ein Mann, der mit einem Dickschädel sondergleichen ein Problem durch alle Schwierigkeiten bis zum Ende verfolgt."

Die Preise werden am 10. Dezember in Stockholm überreicht werden. Ob den Nobelpreis immer der Würdigste bekommt, wird freilich von Jahr zu Jahr zweifelhafter.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung