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Die Volksrepublik auf neuen Wegen

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Ein Lokalaugenschein in China bestätigt: In den letzten Jahren hat sich hier vieles geändert. Den Pragmatikern in der politischen Führung ist es mit gemischten Erfolgen gelungen, China einen neuen Weg zu weisen, der das riesige Land aus Armut und Zurückgebliebenheit führen soll. Freilich: Noch liegen gewaltige Hindernisse auf diesem Weg.

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Ein Lokalaugenschein in China bestätigt: In den letzten Jahren hat sich hier vieles geändert. Den Pragmatikern in der politischen Führung ist es mit gemischten Erfolgen gelungen, China einen neuen Weg zu weisen, der das riesige Land aus Armut und Zurückgebliebenheit führen soll. Freilich: Noch liegen gewaltige Hindernisse auf diesem Weg.

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Die trockene, staubige Luft Nordchinas empfängt einen bei der Ankunft in Peking. Ein kalter Abendwind weht über die langen, breiten Alleen, die vom neuen Flughafen zur Stadt führen. Seit Monaten hätte es nicht mehr geregnet, versichert der Taxichauffeur kopfschüttelnd.

Im Peking-Hotel drängen sich die Ausländer: Geschäftsleute, die geduldig auf den Abschluß von Verträgen warten, oder Touristen, die neugierig ihrem ersten Chinaerlebnis entgegensehen.

Das Service im Hotel hat sich ebenfalls den Ausländern angepaßt: es ist routinierter und unpersönlicher geworden.

Tags darauf führt mich ein Spaziergang durch die Straßen Pekings. Die Weite dieser Stadt ist immer wieder beeindruckend. Zwischen den großen, unendlich scheinenden Hauptstraßen drängen sich die kleinen Gassen mit den alten Häusern, verwinkelt und verwirrend, umgeben von grauen Mauern. Uberall wird renoviert oder gebaut.

In den Vororten entstehen reihenweise neue Wohnsiedlungen. Das Wohnungsproblem in den Städten Chinas ist beängstigend: Hunderttausende warten seit Jahren auf eine neue Wohnung. Der Aufholbedarf nach der chaotischen Zeit der Kulturrevolution ist groß.

Zwischen den Dächern in der Wangfujing, der großen Geschäftsstraße, leuchtet ab und zu ein Neonschild hervor. Die großen Propagandaflächen preisen nun japanische Kameras und Autos an. Die Worte des Vorsitzenden Mao hingegen sind verschwunden.

Auf den Gehsteigen tummelt sich eine neugierige Menge, die die neuesten Produkte prüfend betrachtet. Die meisten Mädchen haben ihre Zöpfe gegen Dauerwellen getauscht.

Zwischen den staatlichen Geschäften findet man die vielen kleinen privaten Läden, die nun erlaubt sind. Es sind kleine Gaststätten, Fahrradreparaturstellen oder ähnliches. Diese meist von jungen Leuten im Kollektiv betriebenen Läden sollen die Arbeitslosigkeit (10-15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung) lindern helfen, doch sind auch sie nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Einen gewissen Fortschritt kann man allerorten feststellen, wenngleich alles sehr langsam vor sich geht. Vor allem in den Städten ist der Lebensstandard gestiegen. Die angebotenen Konsumgüter, aber auch Dienstleistungen haben sich zweifelsohne erheblich vermehrt.

Szenenwechsel nach Xian (Provinz Hsian) in Südchina. Bei der Ankunft fällt sogleich das viele Grün auf. Die Märkte sind voll mit den verschiedensten Gemüsesorten, auf den Hauptstraßen reihen sich kleine Verkaufsstände, wo von Erdnüssen bis zur Unterwäsche alles angeboten wird.

Die Moschee von Xian ist bekannt, da sie im Stil eines chinesischen Tempels gebaut ist. Sie wurde in der Tang-Zeit (618-907 n. Chr.) errichtet und wird derzeit -wie die meisten anderen Tempel Chinas — renoviert. Der Imam von Xian empfängt die Gäste in einem Prunkraum, Tee wird serviert.

Als Vertreter der meist moha-medanischen Hui-Minderheit hat er einen Sitz im Volkskongreß in Peking. Er ist stolz auf seine Moschee und auf den Aufschwung seiner Religion in China. Nach zwei Tassen entschuldigt er sich: es sei Gebetszeit. Zwischen dem Gewirr chinesischer Tempeldächer hallt das „Allah ist groß” wider.

Die Religionen feiern Renaissance in China. Tempel, die noch vor drei Jahren geschlossen oder vollkommen heruntergekommen waren, sind jetzt renoviert und wieder in Betrieb. Alte Mönche verrichten ihre Gebete, und die Großelterngeneration bringt ihre Enkel vor den Buddha, um die Räucherkerzen in die Bronzegefäße zu stecken. Die mittlere Generation sieht zumeist noch zögernd zu.

Nächstes Reiseziel: Chengdu, Hauptstadt der Provinz Sichuan. Im Frühjahr liegt diese Stadt unter einem warmen Nebel, der die Umgebung in ein Treibhaus verwandelt. Sichuan ist immer schon die Kornkammer Chinas gewesen. Nur in der Kulturrevolution herrschte stellenweise Hungersnot.

Doch jetzt hat Sichuan den Status des „paradiesischen Landes” wiedergewonnen, nicht zuletzt durch die energische Politik des gegenwärtigen chinesischen Premiers Zhao Ziyang, der von 1975 bis 1979 Provinzgouverneur war. Er veranlaßte die kleinkapitalistischen Methoden der Selbstverantwortung und -Verwaltung in den Betrieben und Kommunen.

Sichuan wurde binnen zwei Jahren zur Modellprovinz Chinas. Die Sichuanesen sind stolze Leute, und sie unterstreichen in Gesprächen gerne die Vorzugsstellung ihrer Provinz.

Auch in den Straßen Chengdus herrscht reges Treiben: Der Handel blüht, und manche Straßen sind regelrecht von kleinen Ständen verstellt. J.n der Altstadt gibt es einige Gassen, die sich auf die eine oder andere Dienstleistung spezialisiert haben. So rattern in der Schneiderstraße die Nähmaschinen reihenweise auf den Gehsteigen. Die Stimmung ist laut und fröhlich: Südchina.

Weiter geht es nach Suzhou und Shanghai, zwei Städte, die ich zuletzt vor drei Jahren besucht hatte.

Suzhou wird nun als eine der großen Touristenattraktionen Chinas renoviert und ausgebaut. Das „Suzhou-Hotel” hat ein neues

Gebäude bekommen, komplett mit „Shoppingcenter” und Dachgartenbar. Die alten Häuser, die sich zwischen den Straßen und den unzähligen Kanälen drängen, werden frisch gestrichen und repariert.

Ein Bekannter, den ich treffe, erzählt mir hier vom neuen China. In seiner Fabrik hätte man das Bonussystem eingeführt - mit großem Erfolg. Denn die Produktion sei gestiegen. Vor allem in den Städten habe sich das Leben gebessert. Am Land gehe es den Leuten noch nicht so gut. Aber man sei ja auch schließlich erst am Anfang.

Mein Gesprächspartner hofft, daß die Führung an ihrem derzeitigen Kurs festhält. Allerdings: China benötige Ruhe, um mit den gewaltigen Problemen des Landes fertig zu werden. Der Wille, neu zu beginnen, ist stark, überall kann man ihn heute in China spüren.

In Shanghai, der größten Stadt Chinas, hat man fast das Gefühl, in einer kapitalistischen Metropole zu verweilen. In der langen Nanking-Straße, die vom Shanghaier Bund gegen Westen führt, reiht sich beidseitig Geschäft an Geschäft.

Im Peace-Hotel, dem ehemaligen Shanghai-Palace-Hotel, sind sogar die Feuerlöscher aus Kupfer mit Messingbeschlag noch aus der Zeit der Errichtung (1925) erhalten. Man kennt bei den Behörden sichtlich die Liebe der Ausländer zur alten Pracht des historischen Shanghai. Das ganze Hotel hat sich in den 57 Jahren nicht geändert.

Abends spielt eine Jazzband in der Bar. Der letzte Tango des alten Shanghai ist in dieser Touristenenklave auferstanden.

In einer Maschine der Japanese Air-Lines geht es zurück nach Tokio. Sie ist voll mit Japanern, die ihre Souvenirs austauschen. Die ehemaligen Feinde und Schinder Chinas sind zu willkommenen Gästen und Devisenbringern geworden. Unter mir geben die Wolken noch einmal den Blick auf Shanghai frei. Dann geht es über das Meer; hinter mir das China, das an einem neuen Beginn steht.

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