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Die Vollblutschauspielerin

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Kaum vorstellbar, daß sie in diesen Tagen 85 Jahre alt vnrd. Sie, die im Gedächtnis aller, die sie in ihrer großen Zeit sahen, das junge Mädchen schlechthin war, von verblüffender Ähnlichkeit mit den Madonnen Riemenschneiders, von einmaliger Zartheit und Herbheit.

Dabei war sie gar nicht mehr jung, als sie nach vom kam.

Einer berühmten Schauspielerfamilie entstammend — ihr Vater war zeitweise Burgtheaterdirektor, die Brüder Hans und Hermann bereits bekannte Schauspieler —, hatte sie, die Älteste, es schwer. Ihre Lehrerin, die Heroine des Burgtheaters, Hedwig Bleibtreu, meinte: „Bis Brünn wirst du allenfalls kommen — weiter...?“

Sie wurde nach Meiningen engagiert, das war noch einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, als das Hof-theater dort einen besonderen Stil und einen gewissen Ruf hatte. Sie wurde von dort, allerdings als Elevin, ans Königliche Schauspielhaus nach Berlin geholt, wo sie fast nichts zu spielen bekam, und landete schließlich bei dem großen Theaterzauberer Max Reinhardt, der sich schon lange für sie interessiert hatte.

Sie wurde kein Star — im Sinne etwa der Dorsch oder der Bergner, die sich Rollen suchten, Theater suchten, Regisseure suchten. Stars gab es bei Reinhardt nicht. Auch Bassermann, auch Moissi, auch Werner Krauss waren keine. Bei Reinhardt wurde Ensembletheater gemacht, und sie wurde ein Mitglied dieses Ensembles.

Allerdings stand sie fast immer — nicht in der ersten Reihe. Sie spielte die Rosalinde in „Wie es euch gefällt“, das junge Mädchen in „Vor Sonnenuntergang“, die Maria in „Clavigo“, das Gretchen im „XJr-faust“, den Glauben in „Jedermann“, Indras Tochter im „Traumspiel“ und immer wieder die Helene im „Schwierigen“.

Es war kein Geheimnis, nicht in Berlin und man darf wohl sagen in Europa, daß sie mit Reinhardt zusammen lebte. Es war auch keines, daß Reinhardts erste Frau, die Schauspielerin Else Heims, sich nicht von ihm scheiden lassen wollte. Das ging fast zwanzig Jahre so. Und in den ersten dieser zwanzig Jahre waren die Zeitungen immer wieder gespickt mit Berichten von Versuchen Reinhardts, eine Scheidung zu erlangen,.und von der Ablehnung seiner Frau, Die Scheidung erfolgte

dann spät, als sie alle schon in der Emigration waren — 1938 in Reno.

Das Opfer dieser Situation war — in jedem Sinne — Helene Thimig, Tochter aus gutbürgerlichem Haus. Sie mußte vieles schlucken, vjenn-gleich gesagt werden darf, daß diejenigen, die mit Reinhardt gesellschaftlich verkehrten, aufgeschlossen genug waren, sie ihre Zwitterstellung nicht spüren zu lassen.

Sie zögerte auch nicht, mit Reinhardt, der als Jude 1933 Deutschland und 1938 Österreich verließ, in die Emigration zu gehen, obwohl sie das wohl kaum gemußt hätte. Sie war ja, wie man damals sagte, Arierin. Und die Jahre, die nun folgten, waren schwer, denn sie konnte ihren Beruf in den Vereinigten Staaten nicht ausüben. Sie mußte sich darauf beschränken, gelegentlich in Hollywood eine Filmrolle zu erwischen, eine winzige meist, oder Reinhardts Theaterschule mitzuleiten.

Das schlimmste für sie war wohl das Ende Max Reinhardts, das zumindest für sie recht unerwartet und plötzlich kam. Reinhardt war in New York nach einem Schlaganfall zusammengebrochen. Niemand hielt es für nötig, sie, die in Hollywood war, zu verständigen oder doch rechtzeitig zu verständigen. Als sie schließlich das Schreckliche erfuhr und zu ihm eilte, fand sie einen Mann vor, der keine Bewegung mehr machen und kein Wort mehr sprechen konnte. Nur seine Augen — dos sagten alle Zeugen — sagten, wie glücklich er war, daß sie die letzten Stunden bei ihm verbrachte.

Dann?

In den Vereinigten Staaten hatte sie keine Heimat gefunden. Sie ging also (1946) in ihre Heimat zurück, die, trotz aller Berliner Erfolge, Österreich war. Sie spielte an der Burg, sie spielte in der Josefstadt, sie leitete das Reinhardt-Seminar, sie führte Regie in Salzburg bei „Jedermann“. Vor einigen Jahren erzählte mir ein Theaterdirektor, der gerade eine Tournee mit ihr arrangiert hatte, sie könne gar nicht genug bekommen, sie sei geradezu „spielwütig“. Ihm schien das erstaunlich. Aber wenn man bedenkt, daß eine Vollblutschauspielerin dreizehn Jahre ihres Lebens — die besten, vermutlich — nicht hatte Theater spielen dürfen, dann muß man wohl verstehen, daß sie eine Art Nachholbedürfnis verspürte.

Übrigens: niemand ist je auf die

Idee gekommen, diese Frau, die in der ersten Reihe der Berliner Schauspielerinnen stand, wieder nach Berlin einzuladen. Kein deutscher Theaterdirektor holte sie an seine Bühne — was doch wohl eigentlich eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre.

Nun, auch so darf sie auf ein volles, in jedem Sinne gelebtes Leben zurücksehen.

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