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Digital In Arbeit

Die zweite Generation

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Gastarbeiterkinder, Gastarbeiterfrauen: Sie leiden am meisten unter ihrem niedrigen sozialen Status. In Krisenzeiten wie diesen verstärkt sich ihre gesellschaftliche Isolation.

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Gastarbeiterkinder, Gastarbeiterfrauen: Sie leiden am meisten unter ihrem niedrigen sozialen Status. In Krisenzeiten wie diesen verstärkt sich ihre gesellschaftliche Isolation.

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Die „zweite Generation“ der Gastarbeiter in Österreich wird bereits auf 70.000 Köpfe geschätzt. Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft (SWA) hat den Gastarbeiterkindern und -jugendlichen in Österreich, ihren Problemen in Schule und Berufsausbildung und der Notwendigkeit einer bewußten Integrationspolitik ihre neueste Studie gewidmet. Sie fordert konkrete

Maßnahmen, denn Österreichs Wirtschaft wird immer auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sein (solange die eigenen Arbeitskräfte nicht bereit sind, wieder jene Schmutzarbeiten zu übernehmen, die sie inzwischen an die Ausländer abgeschoben haben)..

Etwa ein Drittel der Gastarbeiter lebt bereits seit mehr als acht Jahren in Österreich. Immer mehr Ausländer haben ihre Fami- lie hier, immer mehr Ehefrauen rücken in den Arbeitsprozeß nach, wenn keine neuen Gastarbeiter angeworben werden dürfen. Schon 1980 hatte jedes siebte in Wien geborene Kind jugoslawische oder türkische Eltern.

Gastarbeiterkinder gehören zu jenen Familien, die in unserer Gesellschaft das unterste Berufsund Sozialprestige besitzen, stellt die SWA fest.

Ihr Schulerfolg ist äußerst gering. Nur wenige schaffen in der vorgeschriebenen Zeit den ordnungsgemäßen Pflichtschulabschluß — 1978/79 nur 18 Prozent!

In überbelegten Substandardwohnungen bleibt keine Möglichkeit zur Erledigung der Schulaufgaben, die Sprachbarriere verweist mehr Kinder als notwendig wäre in die Sonderschule. Die Eltern sind nicht in der Lage, ihren Kindern zu helfen, und die Schule hat noch nicht die geeigneten Methoden gefunden, hier einzuspringen.

Das Unterrichtsministerium bemüht sich seit zehn Jahren, den Gastarbeiterkindern ebenso Hilfe zur Eingliederung in unsere Gesellschaft wie zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft des Mutterlandes zu bieten. Deswegen wird den Kindern Förderun- terricht in Deutsch, aber auch muttersprachlicher Zusatzunterricht durch Lehrer aus den Heimatländern angeboten.

Um zu helfen, fordert die SWA:

• Gastarbeiter sollten einen Rechtsstatus erhalten, der es ihnen erlaubt, die eigene Zukunft und die ihrer Familien zu planen.

• Die Kernfamilie sollte in die Lage versetzt werden, daß die Kinder gemeinsam mit den Eltern aufwachsen.

• Gastarbeiterfamilien müßten ebenso wie Österreicher Zugang zu geförderten Wohnungen erhalten.

• Die herrschenden Vorurteile sollten durch eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit abgebaut werden.

• Arbeiter- und Wirtschaftskammern sollten mehr als bisher die Interessen der Gastarbeiter schützen.

Die Hilfe für die Kinder muß schon im Kindergarten einsetzen, vor allem durch entsprechende Information der Eltern. Im Schulbereich sollten einheitliche Lehrpläne für die Deutschförderkurse und ergänzende Lehrpläne für den interkulturellen Ansatz erlassen werden. Die Lehrer müssen entsprechend ausgebildet werden - ein eigenes Pflichtfach sollte die Gesamtprobleme der Ausländer erfassen.

Eigene Bewertungskriterien für die Schulleistungen, mehr Kontakte zu den Eltern - mit Hilfe von Dolmetschern — und Hilfen für die Schulaufgaben wären weitere Ansatzpunkte.

Überall dort aber, wo Gastarbeiter um Information und Hilfe nachfragen, sollten die Berater über jenen Wortschatz in Serbokroatisch oder Türkisch verfügen, der es ihnen erlaubt, mit den Hilfesuchenden in deren Muttersprache zu sprechen.

Jene Gastarbeiter jedoch, die in die Heimat zurückkehren (wollen), müßten in eigenen Beratungsstellen alle Informationen erhalten, die sie für die Übersiedlung brauchen. Für ihre Kinder brauchen sie Informationen über das Schulwesen der Heimat, über die beruflichen Möglichkeiten, die sich dort bieten.

Ein ausgebauter muttersprachlicher Zusatzunterricht müßte die Kinder in die Lage versetzen, auch in der Heimat einen Pflicht-. Schulabschluß zu erreichen. Jugendliche, die keinen Hauptschulabschluß erreicht haben, sollten in muttersprachlichen Kursen auf Berufe vorbereitet werden, die sie in der Heimat verwerten können, schließt die SWA-Studie.

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