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Dürfen wir uns Kritik leisten?"

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Die Verfasserin ist Psychologin und seit 30 Jahren im kirchlichen Dienst tätig (acht Jahre als Diözesan- bzw. Zentralführerinder Katholischen Jungschar Österreichs, seit 1958 Redakteurin von „Welt der Frau")

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Die Verfasserin ist Psychologin und seit 30 Jahren im kirchlichen Dienst tätig (acht Jahre als Diözesan- bzw. Zentralführerinder Katholischen Jungschar Österreichs, seit 1958 Redakteurin von „Welt der Frau")

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.Ä. ls unlängst in meinem Bekanntenkreis das neue Buch von Klostermann, „Der Papst aus dem Osten", die Runde machte, fiel mir immer wieder auf, mit welcher Genugtuung und Bewunderung vermerkt wurde, daß der Autor es gewagt hatte, kirchliche Vorgänge in aller Öffentlichkeit kritisch zu analysieren.

Fast wie in Selbstverteidigung, hörte ich wiederholt beruflich in der Kirche Tätige kontern: „Ja, Klostermann kann sich so etwas leisten. Er ist schließlich in Pension und hat nichts mehr zu verlieren!"

Das alles klingt irgendwie befremdend und fordert schwerwiegende Fragen heraus. Etwa: Wieso ist ein offen geäußertes Wort der Kritik an der Kirche etwas so Außerordentliches? In welchem Zustand ist unsere Kirche, wenn Mut dazu gehört, eine nonkonformistische Meinung zu äußern? Sind die freimütigen innerkirchlichen Auseinandersetzungen, wie sie während des Konzils und nachher die Atmosphäre kennzeichneten, endgültig Vergangenheit?

Die Sorge, die begonnene Öffnung der Kirche auf die Welt hin könnte zu Ende gehen, macht sich tatsächlich derzeit wie eine Art Lähmung bei jenen Christen breit, die eine Liberalisierung im kirchlichen Bereich für notwendig und richtig halten, die aber gerade diese Entwicklung durch verschiedene, auf Vereinheitlichung ausgerichtete Diszipli-nierungsmaßnahmen gefährdet sehen.

Wenn dies nun nicht bloß Schwarzseherei, sondern eine realistische Einschätzung der Lage wäre, dann müßte man in der Tat besorgt sein. Denn eine lebendige Kirche braucht die konstruktive Korrespondenz zwischen Amt und Volk. Und das geht nicht ohne Kritik, offene Meinungsäußerung und Auseinandersetzung.

Es müßte einem bang werden um diese Kirche, wenn ein Teil der Christen ihr kritisches Potential aus irgendwelchen Gründen - sei es aus Angst vor einer Diskriminierung in der Gemeinschaft oder aus Angst um den Posten - nicht mehr einzubringen bereit wäre, oder gar, wenn man aus einer falsch verstandenen Gehorsamsoder Ehrfurchtshaltung meinen würde, dies nicht tun zu dürfen.

Die Kritik als wichtiger Motor von Veränderung und Fortschritt - in der demokratischen Gesellschaft wie in der Wissenschaft längst als unverzichtbar erkannt - scheint mir in der Kirche in ihrer positiven Bedeutung tatsächlich noch zu wenig geschätzt zu sein. Vielleicht auch haben wir Katholiken uns noch zu wenig intensiv mit der Rolle der Mitverantwortung beschäftigt, die uns vom Konzil zugewiesen wurde.

Ich beobachte immer wieder, daß in Kreisen von engagierten Katholiken zwar ein sehr waches Mitdenken mit den kirchlichen Entwicklungen und sehr oft auch besorgte und heftige Unmutsäußerungen über bestimmte Entscheidungen, die zum Widerspruch herausfordern, zu hören sind, daß aber diese Meinungen nur äußerst selten in offener Konfrontation mit den leitenden Stellen ausgesprochen und ausgetragen werden.

Interessanterweise schweigen vielfach die Andersdenkenden, denn allzu schnell bekommt jemand, der im Widerspruch zur „offiziellen" Meinung steht, zu hören, seine Meinung sei „nicht mehr katholisch". Die Einigung über das, was in einer bestimmten Frage als katholisch gilt, geht mir oft zu rasch und zu klaglos über die Bühne. Das führt zur Resignation der Andersdenkenden in der Kirche. Und das scheint mir Anlaß berechtigter Sorge zu sein.

Die Kirche in ihrer Geschichtlichkeit ist elementar auf die geistige Auseinandersetzung angewiesen, denn nur so können Fehler beseitigt und jene Innovationskräfte aktiviert werden, die notwendig sind, damit die Lehre lebbar bleibt und nicht zu musealer oder folkloristischer Bedeutungslosigkeit an die Peripherie des menschlichen Bewußtseins rückt.

Freimütige Kritik der Christen an ihrer Kirche wäre demnach nicht bloß ein Wunsch, sondern eine Verpflichtung. Kann sich so etwas wirklich nur ein Klostermann leisten?

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