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Ein Bild der Zerstörung

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Augenzeugen berichten aus dem besiegten Deutschland des Jahres 1945

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Augenzeugen berichten aus dem besiegten Deutschland des Jahres 1945

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„Köln am Rhein ist nun ein Paradigma der Zerstörung. Das nahegelegene Aachen ging anders zugrunde: sein schönes, melancholisches Gerippe steht noch, aber hinter den eleganten, verzierten Fassaden ist es ausgebrannt. Köln dagegen mit seiner schweren mittelalterlichen Pracht ist in die Luft gesprengt worden. Im Schutt und in der Einsamkeit völliger physischer Zerstörung lehnt Köln, bar jeder Gestalt und schmucklos, an seinem Flußufer. Was von seinem Leben übriggeblieben ist, das kämpft sich mühsam einen Weg durch die zugeschütteten Seitenstraßen: eine geschrumpfte Bevölkerung, schwarz gekleidet und mit Bündeln beladen - stumm wie die Stadt."

So beschrieb die amerikanische Journalistin JanetFlanner im „New Yorker" vom 19. März 1945 den Zustand des von den Alliierten eingenommenen Köln. Nachzulesen ist ihr Bericht in „Europa in Ruinen - Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944-1948", einem von Hans Magnus Enzensberger für die „Andere Bibliothek" zusammengestellten Buch, das nun als Neuausgabe vorliegt. Es konfrontiert die Erinnerung heimischer Zeitzeugen mit Beobachtungen aus der Perspektive des Fremden, des Außenseiters. Umso betrüblicher, daß man einen Bericht über Österreich nach dem Krieg in dem Band vergebens sucht.

Geradezu eine psychologische Kostbarkeit ist die Schilderung, die Robert Thompson Pell vom ÜS-Geheimdienst von der ersten Begegnung amerikanischer Offiziere mit dem Vorsitzenden der IG-Farben unmittelbar nach der Erstürmung ihres Hauptsitzes in Frankfurt am Main durch amerikanische Soldaten gab. Sie fanden ihn in seinem Haus in Oberursel, in der Umgebung wurde noch gekämpft:

„Wir saßen etwa zwanzig Minuten ziemlich steif herum, bis Herr von Schnitzler zu kommen geruhte. Schließlich schlenderte er in den Raum mit seinen frisch polierten Oxfordschuhen und in seinem sorgfältig gepflegten Golfanzug, ganz das Bild eines englischen Landedelmannes. Er war etwa 60 Jahre alt und bemühte sich offenbar, sich so entspannt zu geben, daß wir uns wie zu Hause fühlen konnten. Gleich zu Beginn bemerkte er, wie froh er doch sei, die alte Freundschaft mit Lord X und Y in England, den Duponts in Wilmington und auch ,Jack Morgan' wieder aufnehmen zu können. Er sagte, sie alle seien ja so gute Freunde und in den letzten Jahren habe er die Trennung von ihnen als sehr schmerzhaft empfunden. Er sagte: ,Die IG Farben war ja eines der größten Unternehmen in der Welt, und ich habe überallhin Verbindungen; es war eine äußerst unglückliche Situation, eingeschlossen und so von all meinen Freunden in der ganzen Welt abgeschnitten zu sein.'"

Wie viele bedeutende Autoren betätigte sich auch Alfred Döblin als Berichterstatter. Döblin über seinen ersten Besuch in Deutschland, aus dem er 1933 hatte fliehen müssen, Ende 1945:

„Der Schutt birgt auch viele Leichen. Da liegen sie und machen die Straßen furchtbar still. Viele Menschen sind in ihren Wohnungen

überrascht worden und wurden in den zusammenstürzenden Häusern, in den unzulänglichen Kellern erschlagen und sind erstickt. Es sind auch viele verbrannt... Fast überall aber hat man schon die brauchbaren Ziegelsteine ausrangiert und sauber an den Hauswänden aufgestapelt. Denn wie ich schon sagte, hier lebt unverändert ein arbeitsames, ein ordentliches Volk. Sie haben, wie immer, einer Regierung, so zuletzt dem Hitler pariert, und verstehen im großen und ganzen nicht, warum Gehorchen diesmal schlecht gewesen sein soll. Es wird viel leichter sein, ihre Städte wieder aufzubauen als sie dazuzubrin-gen... zu verstehen, wie es kam...

Den unmittelbaren Eindruck eines Strafgerichts erhält man in einer Stadt wie Pforzheim. Diese existiert eigentlich nicht mehr. Sie ist rasiert, wegradiert. Da steht Häuserskelett neben Häuserskelett und hinter dem Skelett eine chaotische Schuttmasse... Aber wer schärfer hinblickt und sich länger aufhält, stellt zu seinem Erstaunen fest, daß sich sogar hier unterirdisch Leben regt. Ich sah oft Menschen auf die Ruinenhügel steigen. Was wollten sie da? Etwas suchen, graben? Sie hatten Blumen in der Hand. Auf dem Hügel hatten sie Kreuze und Tafeln errichtet. Es waren Gräber. Da legten sie die Blumen hin, knieten und sprachen Gebete."

EUROPA IN RUINEN - Augenzeugenberichte aus den Jahren 1944-1948. Gesammelt und mit einem Prospekt versehen von Hans Magnus Enzensberger. Die Andere Bibliothek. Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1990. Kt., öS 280,80.

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