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Ein Haus voll Glorie...

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Der engagierte Christ liebt zunächst den Ausdruck „engagiert“ nicht eben sehr, bei dem er immer an Schauspieler denken muß, die er schätzt, an Leibwächter, die er nicht braucht, und an die von Herrn Gadaffi engagierten Terroristen, die er verabscheut.

Und er fragt sich Tag für Tag, ob er überhaupt ein Christ und nicht nur ein bemühter Katholik sei, der dereinst am Ende der Zeiten kaum mehr als ein paar Stunden, oder, wenn's hochkommt, Tage vorzuweisen haben wird, an denen er seinem Ziel, Christ zu sein, wenigstens annähernd nahegekommen ist.

Damit will er nicht, institutionsfeindlich, wie's heute „in“ ist, einen Widerspruch konstruieren zwischen Christentum und Katholizismus, Glauben und Kirche. Er weiß, daß er die Kirche zu seiner Vervollkommnung braucht - der engagierte Christ mag auch das Wort „Selbstverwirklichung“ gar nicht leiden! - und hängt ihr daher, so gut er's versteht, mit treuer Liebe an, so unmodern heute alle drei sein mögen, die Liebe wie die Treue und wie die Kirche.

Er mag lediglich die Genetiv-Kirchen nicht, die man entweder leidenschaftlich fordert, damit endlich aus der Kirche was wird - die „Kirche der Armen“, die „Kirche der Außenseiter“ oder auch die „Kirche der Zukunft“ - oder die man gehässig postuliert, um sie verfluchen zu können, als da sind die „Kirche der Reichen“ oder die „Kirche der Gestrigen“ oder auch die vielverlästerte „Amts-Kirche“.

Nur einen Genetiv mag der engagierte Christ, die „Kirche der Sünder“, denn das ist allzumal die ganze Kirche. Deshalb hat er nie in seinem Leben gebetet: „O Herr, ich danke dir, daß ich nicht bin wie jene“ - die „Pharisäer“, die „Betschwestern“ oder auch die „Elf-Uhr-Meß-Chri-sten“. Er hat höchstens einmal, so lange, bis er drauf-kam, daß das auch noch zu hochmütig ist, gebetet: „O Herr, ich danke dir, daß auch andere so sind wie ich.“

Er hat eingestandenermaßen nur schwer der Gefahr widerstanden - aber er hat widerstanden! - sich über seine eigene menschliche Fehlbarkeit mit der menschlichen Fehlbarkeit der Kirche hinwegzutrösten.

Er weiß, die Kirche leidet an seinen Fehlern, und versagt sich daher das wollüstige Gefühl, an den Fehlern der Kirche zu leiden. Wenn er ein Schuldbekenntnis ablegt, dann nicht für die Kirche („Die Kirche hat versagt in der Arbeiterfrage“, „der Friedensfrage“, und weiß der

Teufel, wo noch), sondern für sich allein.

Er ist daher nie in die Gefahr geraten, sich, wie man heute so schön sagt, „mit dieser Kirche nicht identifizieren zu können“. Er hat sich am Fernsehschirm wie ein Kind darüber gefreut (und damit identifiziert), daß nach drei Jahrzehnten Kommunismus im polnischen Volk noch so viel Glaube lebendig ist, und vermag die Besorgnis einiger sicherlich sehr -oder zu? - kluger Club-2-De-battantinnen, der Heilige Vater könnte uns am Ende zu polnisch kommen, überhaupt nicht zu teilen.

Kritiker von Beruf, hält er die Kritik weder für die Vernunft schlechthin noch für'

die Tugend der Liebe, sondern beschränkt sich auf die Hoffnung, daß sie immer mit Vernunft und Liebe geleistet werde. Nicht, weil er seiner Kirche mißtraute, sondern weil er sein ganzes Vertrauen in Christus setzt, weiß der engagierte Katholik natürlich, daß man in vielen Kirchen Christ werden kan, und er wünscht seinen getrennten Brüdern so viel evangelische, altkatholische oder orthodoxe Kirchlichkeit, wie er selber katholischerweise hat.

Er glaubt: Wenn sich jeder , - Protestant, Altkatholik, Methodist - nach besten Kräften bemüht, ein möglichst guter Protestant, Altkatholik, Methodist zu sein, dann werden sie alle einmal -eine Stunde oder einen Tag -gute Christen, und das wird dann der große Augenblick der Ökumene sein.

Dennoch kann er nicht glauben, daß seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche gleichgültig oder zufällig wäre. Er fühlt sich daheim und geborgen in dieser Kirche, er liebt sie, er bewundert sie. Ganz leise singt er sogar noch manchmal (aber leise nur deshalb, weil er keine sehr schöne Stimme hat): „Ein Haus voll Glorie schauet ...“

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