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Entpolitisierung und innere Reform

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Die genauere Kenntnis der nationalen und lokalen Ausprägungen der katholischen Kirche Italiens bewahrt vor der ungerechtfertigten Gleichsetzung Roms mit dem Vatikan.

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Die genauere Kenntnis der nationalen und lokalen Ausprägungen der katholischen Kirche Italiens bewahrt vor der ungerechtfertigten Gleichsetzung Roms mit dem Vatikan.

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Die Präsenz des Papsttums war in Italien stets fast erdrückend und die Eigenständigkeit der Kirche des Landes sehr gering. Die Italienische Bischofskonferenz (CEI) wurde erst nach dem Zweiten Vatikanum als eine der letzten Bischofskonferenzen im westlichen Europa zu einer eigenständigen Einrichtung: Ihre Statuten billigte Papst Paul Vl.'im Dezember 1965, damals „ad experimen-tum” die erste Vollversammlung fand im Juni 1966 statt. In den 15 Jahren seit dem Bestehen der Konferenz konnten immerhin erste Fundamente für eine gemeinsame Pastoral der lokalen Kirchen gelegt werden, die unter den früheren Bedingungen kaum möglich gewesen wären.

Von allen vom Episkopat bisher gemeinsam getragenen Erneuerungsbemühungen ist die Katechesereform zweifellos am besten gelungen. Man begann damit bereits 1967, kaum ein Jahr nach der Gründung der Bischofskonferenz.

Die gesamte Reformarbeit ging von zwei Grundsatzentscheidungen aus:

• der traditionelle Katechismus sollte durch mehrere, den einzelnen Altersstufen zugeordnete Texte abgelöst werden.

• den Einzeltexten wurde ein „Basisdokument” vorausgeschickt.

Das Gesamtwerk ist Ausdruck einer stark veränderten Pädagogik und einer ebenso stark gewandelten religiösen Einstellung. Selbstverständlich gab und gibt es dagegen auch Widerstand. Das Hauptproblem aber war und bleibt die mangelnde Vorbereitung des Klerus auf die ihm abverlangte Umstellung.

Neben der katechetischen Reform rangiert die Liturgiereform. Sie brachte eine grundlegende Veränderung in den Formen der Teilnahme am Gottesdienst. Allerdings gingen damit zugleich viele volkstümliche Riten und Andachtsformen, die durch Jahrhunderte Ausdruck italienischer Volksreligiosität waren, verloren, ohne daß entsprechende neue Formen entwickelt werden konnten. Doch gab und gibt es Bemühungen, diesen negativen Nebenwirkungen der Refoyn abzuhelfen und die „Volksreligiosität” neu zu Ehren zu bringen. Die kirchenamtlichen Bemühungen um die praktische Vertiefung der Liturgiereform gipfelte in dem Pastoralplan „Evangelisation und Sakramente”, der 1972 beschlossen und in den Jahren 1973 bis 1977 durchgeführt wurde.

Weltliche Präsenz?

Jedes Jahr wurde der theologisch-seelsorglichen Vertiefung eines Sakraments gewidmet. Das gesamte Projekt war von der Absicht getragen, von unten her „kleine Hauskirchen” als Sauerteig für die größere Gemeinschaft der Pfarrei aufzubauen. Die Anstrengungen, dieses Programm mitzutragen, waren freilich lange nicht überall gleich groß. Das sichtbarste Ergebnis ist bis heute ein größerer Ernst bei der Vorbe-, reitung der Familie auf die Taufe der Kinder und bei der Vorbereitung auf die Trauung. Im Grunde freilich krankt die italienische Seelsorge immer noch am „leichten Sakrament”.

Auf der gleichen Linie Hegt ein anderes, schon weiter zurückliegendes, aber für Italien damals entscheidendes Ereignis. In den ersten Novembertagen 1976 wurde in Rom ein Nationalkongreß „Evangelisierung und Förderung des Menschen” abgehalten.

Aufgefallen sind auf dem Kongreß vor allem die weitgehende Abwesenheit der Bischöfe, aber auch die überaus lebhafte und durchwegs kompetente Teilnahme von Laien (eine jede Diözese hatte Delegierte entsandt) und der Wille zur Selbstkritik vor allem bezüglich des sozialen und politischen Verhaltens der Katholiken in der Kirche. Es zeigte sich während der Kongreßtage sehr bald, daß die katholischen Laien, in ihrem Willen zu stärkerer kirchlicher Teilnahme frustriert, viel zur Situation ihrer Kirche im Lande zu sagen hatten. Hauptsächliche Zielscheibe der Kritik war der traditionelle Schulterschluß der Kirche Italiens mit der Democrazia Cristiana als politischer Partei.

Für die Nachkriegszeit war die Gleichstellung von Kirche und Democrazia Cristiana politischkulturell und weitgehend auch organisatorisch fast selbstverständlich. Die Kirche unterstützte die DC bei Wahlen und half ihr bei der Klärung von Grundsatzfragen.

Die seelsorglichen Kosten dieses Verhältens sind gegen Ende der sechziger Jahre allerdings immer deutlicher geworden. Und Paul VI. zeigte Spürsinn genug, um daraus Konsequenzen zu ziehen. Bereits 1964 hatte der Monti-ni-Papst vor den italienischen Bischöfen den Vorrang der religiösen und aller kirchlichen Tätigkeiten gegenüber den Möglichkeiten politischer Einwirkung der Kirche herausgestellt.

Mit dem Pontifikat Johannes Pauls II. befindet sich die Entwicklung, die für Paul VI. der eigentliche Weg zur Uberwindung der „weltlichen Art” der Präsenz der Kirche in der Gesellschaft war, allerdings wieder an einem Scheideweg. Für Papst Wojtyla ist ganz offenkundig die Kirche als gesellschaftliche, die politische Öffentlichkeit beeinflussende Kraft in erster Linie maßgebend. Man weiß inzwischen, daß Papst Wojtyla die Führung des italienischen Episkopats dazu ermuntert hat, kirchliche Verbände und Vereinigungen vor allem für Aktionen mit großer öf-fentlichkeitswirkung einzusetzen. Nach allgemeiner Meinung war der Ausgang des Referendums über das Abtreibungsstrafrecht (mit 23,6 Prozent der Stimmberechtigten für den katholischen Vorschlag) ein so einschneidender Vorgang, daß der 19. Mai 1981 ein Schlüsselerlebnis in der sozialen und~Teligiösen Geschichte des Landes darstellt. Einig ist man sich vor allem darüber, daß diese zweite Niederlage, nach dem für die Kirche negativen Ausgang des Referendums über die Ehescheidung 1974, endgültig das Ende Italiens als einer vom Christentum geprägten Gesellschaft darstellt. Von jetzt an müsse die Kirche davon ausgehen, auch in Italien eine Minderheit zu sein.

Gekürzt aus „Herder-Korrespondenz” 4/82.

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