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Erschlossen und kaputtgemacht

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Man liest es mit gemischten Gefühlen, stellenweise fasziniert, stellenweise ärgerlich, das Buch „Expeditionen durch Indonesien“ von Werner Weiglein und Herwig Zahorka.

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Man liest es mit gemischten Gefühlen, stellenweise fasziniert, stellenweise ärgerlich, das Buch „Expeditionen durch Indonesien“ von Werner Weiglein und Herwig Zahorka.

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Zu faszinieren vermag Zahorka, ein deutscher Forstoberrat, der die tropische Ökologie erforscht und monatelang mit Naturvölkern, die eben dieses, nämlich Naturvölker, wirklich noch sind, in Blätterhütten lebte und von ihnen lernte, mit Blasrohr und Giftpfeil zu jagen.

Werner Weiglein ist auch ein wackerer Mann, Sportarzt, Urologe, Tropenmediziner - und unermüdlicher Reisender. Als solcher aber einer von der Sorte, die wirkungsvoll dazu beiträgt, daß die Naturvölker aufhören, eben dieses, nämlich Naturvölker, zu sein. „Sein Hauptinteresse gilt... Pionierexpeditionen und Extremreisen“, heißt’s im Klappentext.

Weiglein über seine Trans-Su- lawesi-Expedition: „Zuerst war es nur eine fixe Idee von mir gewesen, diese noch kaum erforschte, unbekannte große Sunda-Insel über Land von Süden nach Norden mit ein paar Gleichgesinnten durchqueren zu wollen ... Sulawesi ist Himmel und Hölle zugleich. Dichter Dschungel, undurchdringliche Mangrovenwälder, Moskitos, Giftschlangen, Blutegel, Ureinwohner mit Blasrohren und Trilliarden von buntglitzernden Schmetterlingen...“

Unter-den zwölf Teilnehmern der Autoreise: eine Redakteurin und ein Fotograf der größten deutschen Illustrierten, ein Orthopäde, ein Schuldirektor, zwei Zahnärzte, eine Sportlehrerin, zwei Studenten und — zwei Touri- stikfächleute!

Abenteuer ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Man würde den Extremreisenden ihre Erlebnisse und Selbsterfahrun- gen j a von Herzen gönnen—wären sie nicht Teil eines schrecklichen Prozesses. Abenteuerlust paart sich bekanntlich immer unwiderruflicher mit Prestigebedürfnissen. Der Urlaubsort des Hausmeisters oder der Sprechstundenhilfe kommt für den Zahnarzt nicht in Frage. Weil aber die Ärzte und Inhaber vergleichbarer Brieftaschen weit nach Asien und Südamerika ausschwärmen, suchen die echten Abenteurer nach exklusiveren Zielen. Leider schaufeln Billig-Jumbos längst auch den kleinen Mann tief nach Afrika und Asien, und auf der Flucht vor der prestigeschädlichen mise- ra plebs versteigen sich die dickeren Brieftaschen auf den Spuren der echten Abenteurer in immer unzugänglichere Regionen. Die werden dann unbarmherzig für den Elitetourismus dieser sogenannten Anspruchsvollen erschlossen. Die beiden Touristikfachleute in Weigleins Gefolge stimmen traurig im Gedanken an die wohl auch hier unausweichliche „Erschließung“, das heißt Zerstörung.

Weiglein: „Wir haben heute einen wirklich guten Tag erwischt, denn schon zwei Stunden vor Ba- ruppu erfahren wir von Einheimischen, daß ganz in der Nähe ein sehenswertes Fest im Gange ist. Diese spektakulären Totenfeiern der Toraja sind weit über die Grenzen Indonesiens bekannt, und es gibt viele Leute, die nur des blutigen Schauspiels wegen die beschwerliche Reise nach Sulawesi auf sich nehmen. Dank der Beziehungen unseres einheimischen Begleiters zu dem .Distrikt- Chef*, gehörten wir zu den geladenen Gästen... Aus zeitlichen Gründen ist es uns leider nicht möglich, den Abschluß und eigentlichen Höhepunkt des Begräbnisfestes abzuwarten.“

Und morgen kommen die Jumbos. Und die Extremtouristen werden dem Prestige-Anspruch immer noch „exklusivere“ Ziele erschließen. Öb er’s will oder nicht, diese Art Pionier ist zur vergifteten Pfeilspitze des Prestigetourismus geworden, dem der immer weniger „exklusive“ Tourismus und die immer umfassendere Vernichtung kaum erst oder noch gar nicht erforschter Kulturen folgt.

Während Weiglein eine eher reisewerbliche Schreibe pflegt, vermittelt Zahorka dem Leser Verständnis für seine Blasrohrmänner, für die Bedrohtheit der Naturvölker, für die jahrelange Mühe, die es erfordert, sie kennenzulernen, aber auch für die Unaufhaltsamkeit der Veränderung — selbst dort, wo der Erlebnis-Tourismus (noch) nicht hinkommt.

Zahorka hat seinen Basap- Freunden auf Borneo einen Floh ins Ohr gesetzt: Orang-Utans und Gibbons seien eigentlich fast Menschen. Wenige Jahre später haben sie ihrem „Beinahe-Kanni- balismus“ abgeschworen, essen Reis, betreiben Brandrodung und dezimieren, durch Zerstörung ihres Lebensraumes, die Orangs und Gibbons viel nachhaltiger als vorher mit ihren Giftpfeilen.

Zahorka: „O Gott, was hatte ich da als Zivilisationsökologe angerichtet!“ Nun, seine Freunde hatten vielleicht auch noch andere Gründe, sich umzustellen. Aber es stimmt schon, daß vergleichsweise winzige Anstöße in tradierten Systemeh unkalkulierbare Wirkungen nach sich ziehen können. Es muß nicht immer ein Touristik-Fachmann sein. Mitunter genügt tatsächlich schon ein wohlmeinender Experte.

EXPEDITIONEN DURCH INDONESIEN. Von Werner Weiglein und Herwig Zahorką, Edition Momos bei ztv, Dreieich bei Frankfurt/M. 1986.186 Seiten, Ln., öS 608,—.

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