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Es geht um Palmes Kopf

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Am Beginn der vierten Woche des Akademikerstreikes in • Schweden geht es, das wird immer deutlicher, nicht mehr um einige Prozent Gehaltserhöhung mehr oder weniger, sondern um Sein oder Nichtsein der sozialdemokratischen Minderheitsregierung, vor allem aber um die Position des Regierungschefe Olof Palme, der nun die schwersten Angriffe über sich ergehen lassen muß, denen ein Staatsminister in Schweden jemals ausgesetzt war. In allen Sektoren der Staats- imd Kommunailverwaltung wird jetzt gestreikt. Der Zahl der Streikenden steht eine -größere Zahl Ausgesperrter gegenüber. Die Eisenbahnen stehen seit 5. Februar stiU, Gerichte und Zolldienst, Fähren, Lotsendienst und Sozialwesen funktionieren nicht mehr. 25.000 Lehrer haben die Mittel- und Hochschulen verlassen. Der Akaidemikerverband und der Verband der höheren Staatsbeamten hielt ein Gehaltsangebot von 8 Prozent nicht einmal für wert, sich deswegen an den Verhandlungstisch zu setzen.

Die Propaganda der kampflustigen und über große Geldmittel verfügenden Beamtenverbände kreist gar nicht mehr um die Höhe der Gehaltszuschläge, sondern richtet sich mit aller Gewalt gegen die Person des Regierungsohefs Palme, den man für alles verantwortlich macht, was sich in Schweden an Unvollkom-menheit und Ungerechtigkeit entdecken läßt. Beklemmend ist, daß der größte Teil der Presse und des Femsehens diesen Angriffen breiten Raum gibt, während die Regierungsseite kaum mehr zu Wort kommt 23 Waldbauem aus dem nördlichen JämUand, alle arbeitslos, dodi (bis auf zwei) Bezieher von Arbeitslosenunterstützung, forderten Olof Palme in einem Brief auf, binnen vierzehn Tagen den Ausbau einer Straße zur norwegischen Grenze anzuordnen (!), widrigenfalls sie die großen Zeitungen, Radio und Fernsehen einberufen und dann in den Hungerstreik tEeten würden. Palme ließ mitteilen, daß man sowohl an der Vorbereitung von Notstandsarbeiten wie an der Untersuchung von Erz-funden in dieser Gegend arbeite, die in absehbarer Zeit zur Schaffung von Arbeitsmöglidikeiten führen würden. Die 23 riefen Radio, Femsehen und die hauptstädtische Presse herbei und begannen ihren Streik, bald auch in Anwesenheit von rasch herangeflogenen Sonderberichterstattern aus England, Amerika und Westdeutschland.

Eine andere Sache ist daß Palme von seiner Partei und seinen Regde-rungskoUegen kaum Hilfe erhält. Die Regierung hüllt sich in Schwedgen, obwohl die Gesambsdtuation immer mehr auf ein Eingreifen der Regierung und des Parlamentes drängt. Weshalb viele Beobachter meinen, daß auch Teile der eigenen Partei den Sturz Palmes nicht ungem sehen würden, obwohl man nicht recht begreifen kann, was diese „schweigende Opposition" dadurch gewinnen könnte.

Inzwischen vsrurden auch mehr als dreitausend schwedische Offiziere in den Streik einbezogen, bezsiehungs-weise sollen in den nächsten Tagen ausigesperrt werden. 30.000 zum Wehrdienst eingezogene Soldaten können in diesem Fall mit einer zedt-weiMgen Entlassung rechnen. In den Konflikt einbezogen sind sogar die Beamten der staatlichen Kassaver-waltungen, so daß der Staat keine Auszahlungen mehr vornehmen kann. Hier waren es die Beamtenverbände SACO und SR, die zur dramatischen Streikverschärfung beigetragen haben.

Verteidigungsminister und Innenminister erklärten, man würde das Verhandlungs- und Streikrecht der Beamten, der Polizei und der Offl-zdere wohl einer parlamentarischen Prüfung unterziehen müssen. Es scheint tatsächlich unmöglich, ein Streikrecht aufrechtzuerhalten, welches kleinen Gruppen von Spitzen-verdienem die Möglichkeit gibt, die ganze Wirtschaft lahmzulegen. Eine solche Praxis verlangt nämlich ein hohes Maß von Verantwortungsbewußtsein bei den agierenden Verbänden, das offenbar noch nicht vorhanden ist.

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