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Es gibt keine wertfreie Familiennolitik

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Eine sachliche Analyse der heimischen Familienpolitik aus der Sicht verschiedener ökonomischer Aspekte, insbesondere des Familienlastenausgleichs, stellt Dr. Wolfgang Weigel, Assistent am Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien, in der jüngsten Nummer der Zeitschrift „Gesellschaft und Politik” des Kummer-Institutes an.

Einführend schreibt Weigel: „Die Funktionen der Familie im Gesellschaftssystem können aus einem ethisch-religiösen, einem sbzialen und einem ökonomischen Blickwinkel gesehen werden. Wie in den zahlreichen Programmen zur Förderung der Fa- milie zum Ausdruck kommt, sollen die Funktionen der Familie für die Gesellschaft erhalten und durch entsprechende Gegenleistungen abgegolten werden. Maßnahmen zur wirtschaftlichen Förderung nehmen dabei einen hervorragenden Platz ein.” Weigel ist der Überzeugung, daß Familienpolitik nie etwas Wertfreies sein kann, denn Auswahl und Dosierung derartiger Maßnahmen seien Ausdruck und Ergebnis von Werturteilen: „Diskussionen um Famüienpolitik im Sinne einer wirtschaftlichen Existen^sicherung lassen sich daher kaum je in einem auch nur annähernd wertfreien Raum transferieren.”

Der Autor schlägt in „Gesellschaft und Politik” vor, die Definition des Familienlastenausgleichs zu ergänzen und zu erweitern, da das System nur in einer Kombination von Beihüfen und direkten Leistungen sowie steuerlichen Maßnahmen wirksam werden kann. Weigel unterscheidet daher einen Farmlienlastenausgleich im weiteren Sinne (direkte und steuerliche Maßnahmen) von einem Familienlastenausgleich im engeren Sinn (direkte Maßnahmen). Was die steuerliche Seite des Ausgleichs änlangt, wird festgestellt, daß das Einkommensteuergesetz 1972 zwar die grundsätzlich gleiche Förderungswürdigkeit jedes Kindes anerkennt (Umwandlung der früheren Kinderfreibeträge in Absetzbeträge), diesen Grundsatz aber nicht konsequent genug durchhält: Bei sehr geringer oder überhaupt nicht vorhandener. Steuerschuld müßte dann koilsequenterweise auch eine Vergütung der Kinderkosten vorgesehen sein, was typisch für eine negative Einkommenssteuer wäre.

Ausdrücklich hält Weigel fest, daß der FamUienlastenausgleich nur Teü eines weiteren Systems sei. Die Maßnahmen im Rahmen des Familienlastenausgleichs müßten auch in Beziehung gebracht werden zu jenen der Ausbildungsförderung (Studienbeihilfen), zu den famüienpolitischen Effekten in der Sozialversicherung sowie im Bereich der Wohnungswirtschaft

Als Zielsetzung der Familienförde rung scheinen zwei Hauptaspekte im Vordergrund zu stehen:

• Die materielle Schlechterstellung von Famüien mit Kindern gegenüber solchen ohne Kinder auszugleichen (horizontaler Ausgleich) und darüber hinaus auch die Chancengleichheit zwischen den Kindern herbeizuführen (vertikaler Ausgleich)

• Sowie neben den meist kurzfristig orientierten Abgeltungsmaßnahmen auch entsprechende Reproduktionszahlen sicherzustellen (ein Bevölkerungsrückgang kann das gesamte System der sozialen Sicherheiten in Frage stellen).

Eine größere Differenzierung der Abgeltungen etwa nach der Kinderzahl, nach dem Alter der Kinder oder nach regionalen Unterschiedlichkeiten bezeichnet Wolfgang Weigel als wünschenswert und zweckmäßig. Mit den Famüienorganisationen weiß sich der Autor einer Meinung, wenn er feststellt, daß die Pro-Kopf-Einkommen sehr schnell mit der Zahl der Kinder steigen und daß die Pro- Kopf-Einkommen in vielen Famüien unter der sogenannten „Armutsgrenze” liegen: „Eine Maßnahme wäre die Abdeckung von wenigstens 50 Prozent der Aufwendungen für Kinder entsprechend einer Empfehlung des fa- müienpolitischen Beirates im Bundeskanzleramt 1970. Bei der Überprüfung der durch die Einkommensbeschränkung bedingten Substitutionsvorgänge zeigt sich, daß manche Güterbündel, wie etwas Urlaub, nicht konsumiert werden können.” In der Tat haben die Familienverbände immer wieder darauf hingewiesen, daß sich Mehrkinderfamüien in wesentlich geringerem Maße gemeinsame Urlaube, insbesondere Winterurlaube, leisten können als etwa kinderlose Ehepaare. Als Ausweg regt Wolfgang Weigel die Einführung zusätzlicher gezielter Förderungsmaßnahmen sin, die vor allem die Abdeckung des starren Bedarfs „mit dem besonderen Bereich der Wohnraumbeschaffung betreffen sollten”, um dadurch die Bildung zusätzlichen verfügbaren Einkommens indirekt zu fordern.

Abschließend wird in der Analyse festgestellt, die Rolle der Frau als Mutter müsse seitens der Gesellschaft klar definiert und bewertet werden: „Der Zeitaufwand der Frau für die Kinderversorgung kann in sehr vielen Fällen nur im Zusammenhang mit der Einstellung zum Beruf und der Zwangslage des zu geringen Einkommens des Mannes gesehen werden. Es ist deshalb notwendig, von seiten der Gesellschaft über die Funktion der Frau insofern zu entscheiden, als der wünschenswerte optimale Einsatz ihrer Zeit durch eine entsprechende Zah- lungswüligkeit seitens der Gesellschaft bestimmt werden muß.” (Weitere Artikel folgen.)

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