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Familiengeschichten

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Dostojewski konnte über den alten Fürsten, einen jung-sein-wollenden Tattergreis, in seiner Erzählung „Onkelchens Traum“, die er ursprünglich als Komödie konzipierte, nicht nur ausgiebig lachen, er sprach und dachte stundenlang wie diese Gestalt, was seiner zweiten Frau höchst unangenehm war. Das berichtet der Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe in seiner umfangreichen Dostojewski-Biographie. Diese Erzählung hat der bekannte Einmanndarsteller Herbert Lederer dramatisiert, die nunmehrige Komödie wurde im Volkstheater uraufgeführt. Finden wir die Vorgänge ebenfalls komisch?

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Dostojewski konnte über den alten Fürsten, einen jung-sein-wollenden Tattergreis, in seiner Erzählung „Onkelchens Traum“, die er ursprünglich als Komödie konzipierte, nicht nur ausgiebig lachen, er sprach und dachte stundenlang wie diese Gestalt, was seiner zweiten Frau höchst unangenehm war. Das berichtet der Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe in seiner umfangreichen Dostojewski-Biographie. Diese Erzählung hat der bekannte Einmanndarsteller Herbert Lederer dramatisiert, die nunmehrige Komödie wurde im Volkstheater uraufgeführt. Finden wir die Vorgänge ebenfalls komisch?

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Über einen senilen Alten, der ständig an Gedächtnisschwäche leidet, können ansonsten wohl nur höchst primitive Menschen lachen. Und soll man darüber lachen, daß Frau Mos-kalowa ihre hübsche junge Tochter Sina mit ihm, der infolge eines Unfalls mit seiner Kutsche als Gast bei ihr weilt, seines Geldes wegen verheiraten möchte? Das Mädchen ging aus einer Liebesgeschichte etwas angeschlagen hervor. Bietet dagegen das Zentralmotiv „Traum“ Wesentliches, wie man vermuten könnte? Als sich der Fürst, der um die Hand Sinas tatsächlich anhält, dann von einem weniger begünstigten eifersüchtigen Verehrer des Mädchens gerne einreden läßt, alles sei nur Traum gewesen, geht die Verlobung in Brüche. Das ist billig. Die Dimension Dostojewski fehlt völlig. Er selbst hat seine Erzählung später für schlecht befunden.

Lederer bringt die Vorgänge szenisch gut zur Entfaltung. Es gibt noch einen trottelhaften Gatten der Moskalowa, es gibt eine Reihe vornehmer Klatschdamen, das bietet mancherlei. Die große Aufmachung in dem vorzüglichen, prunkvollen Bühnenbild von Karl Olschbauer wird unter der wirkungssicheren Regie des Tschechen Vaclav Hudeöek zum theatergemäßen Anreiz. Egon Jordan gibt dem Fürsten bei mühseliger Haltung so recht das Tatterige. Hilde Sochor überzeugt als Moskalowa durch unbedenkliche Initiative. Rollengerecht schattenhaft wirkt Heidi Picha als deren unglückliche hübsche Tochter. Glaubhaft zeichnen Uwe Falkenbach den Verehrer, Ernst Meister den trottelhaften Gatten der Moskalowa.

Und nun Herbert Lederer als Einmanndarsteller in seinem eigenen Theater am Schwedenplatz: „Vincent“ heißt die neue Produktion. Und zwar stellte Lederer aus den Briefen Vincent van Goghs einen Monolog zusammen, in dem dieser lodernde Mensch beklemmend lebendig wird. Ein paar niedere Podeste, kaum ein Requisit, kein Bühnenbild, allein auf den Menschen gestellt, führt er ergreifend diesen Maler einer neuen Sicht in der bildnerischen Gestaltung vor, der so bald seinem Leben ein Ende bereitete.

*

Der erfolgreiche dreißigjährige Franz Xaver Kroetz hatte das Verdienst, Menschen darzustellen, die in ihrer Primitivität des sprachlichen Ausdrucks nur wenig fähig sind, er wendete dies aber auch dann an,

wenn es unglaubwürdig war. Davon ist er in seinem Zweipersonenvolks-stück „Das Nest“, das derzeit im Theater der Courage gespielt wird, abgekommen. Der brave, fleißige Lastkraftwagenfahrer Kurt und seine Frau Martha können sich durchaus ausdrücken, allerdings in einer Überfülle platter, völlig spannungsloser Szenen, die oft so kurz sind, daß der im Dunkel sehr wohl sichtbare Umbau zwischen den Szenen länger dauert als die Szenen selbst.

Was geschieht schließlich? Als das Kind da ist, auf das sie sich freuen, badet die Mutter mit ihm an jener von ihnen bevorzugten Stelle des Teichs, an der Kurt im Auftrag seines Chefs Tonnen „verdorbenen Weins“ — in Wirklichkeit Gift — ins Wasser entleert hat. Er bemerkt den Unterschied nicht? Und schüttet den Inhalt, auch wenn es verdorbener Wein wäre, eben da hinein? Das sollen wir glauben! Das Stück hinkt. Noch ein schnulzenhafter Schluß: Die Verbrennungen, die das Kind erleidet, heilen, der brave Kurt zeigt sich und den Chef an, wird aber selbst von des Autors Gnaden bei Gericht kaum etwas zu befürchten haben, Kroetz kann heute schreiben was er will, es wird gelobt.

Unter der Regiedebütantin Kitty Buchhammer spielen Hannerl Thi-mig und Toni Böhm glaubhaft die beiden Rollen. Das simultane Bühnenbild von Peter Giljum wirkt allzu behelfsmäßig. Karl Maria Grimme

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