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Flaggschiff der Schande

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Tücher, Planen, Dek-ken, zerrissene Kleidungsstücke als Dach gegen den unbarmherzigen Monsunregen, Resignation, ja asiatischer Fatalismus als Schutz gegen Selbstmordgedanken: ein Bild, das der Dichtkunst eines Dante würdig wäre. Ein fernöstliches Inferno von Gestank, Hunger, Kindergeschrei, Ungewißheit und Hilflosigkeit.

Vietnamesische Flüchtlinge, zusammengepfercht am Deck eines Frachtschiffes, von den Wellen des Meeres, zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit hin- und hergeschaukelt.

Flüchtlinge, die niemand haben will.

Denn sie sind keine Reichen, kein Thieu, kein Ky, keine Prominenz. Sie sind nur kleine Leute aus den Ba-gnos von Saigon, Bauern aus dem zentralen Hochland von Vietnam: Proletarier aller Provinzen, vereint in der Flucht vor dem unglückbringenden Kommunismus.

„Wenn man mir die Wahl ließe, erschossen zu werden oder in die sozialistische Republik Vietnam zurückzukehren - ich würde das er-stere wählen“, sagte einer von ihnen, ein kleiner Greisler. Wo aber bleiben die Gro-

ßen der Welt, die professionellen Friedensapostel mit dem eingepflanzten Ölzweig? Erheben sie ihre Stimme?

Was, bitte, tut inzwischen der Nobelpreisträger in Sachen Frieden, Henry Kissinger, der das Vietnam-Problem überaus gut kennt? Macht er sich stark für die armen kleinen Nguyens? Wirft er sein internationales Renomee in die Waagschale für sie?

Nein, denn dazu hat er zur Zeit no time. Er muß gerade eine Schallplatte besingen, seine mit Ei gepflegte

Stimme ist im Plattenstudio unabkömmlich.

Doch selbst ehrenwerte Gottesmänner, Mitbrüder und Humanisten mit wohlklingenden Namen, Gurus der großen Vietnam-Szenerie vergangener Zeiten, bleiben bemerkenswert stumm.

Keine Spur von einem Protest oder gar von flammenden Appellen aus dem Munde einer Jane Fonda, Joan Baez, Senator Church oder der hochwürdigen Ber-rigan-Brüder, die einst ihr Blut auf amerikanische Einberufungsbescheide tröpfeln

ließen, um vietnamesisches Leben zu schonen.

Ich höre auch vom Mystiker, Dichter und Castro-Fan Ernesto Cardenal, diesem wortgewaltigen Auswen-dig-Kenner aller Sünden amerikanischer Provinienz, nichts, es sei denn, es handle sich um verfolgte Marxisten oder den Rechtsdiktator Somoza.

Auch er wird - bitte weiterzusagen! - vor der Küste Malaysias, an den Grenzen von Kambodscha und in den Auffangslagern in Hongkong dringend benötigt. Ja vielleicht sogar in Hanoi, das all diese Friedenskämpfer

schon so lange nicht mehr besucht haben.

Ich bin durchaus bereit, in Sack und Asche Buße zu tun, sollte ich mich irren und ungerechte Urteile fällen. Doch leider bleibt es wahr, daß Menschlichkeit vielfach nur ein Vorwand ist, hinter dem patentierten Humanisten der internationalen Szenerie ihre ideologische Spielchen absolvieren.

Je nachdem: einmal am linken, dann wiederum am rechten Auge blind, sehen sie nur das Leid der eigenen Genossen: Menschen ohne Etikette fallen bei ihnen nicht auf, eher durch.

Deshalb ist der Verdienst gerade jener Journalisten und Fernsehleute nicht genug hoch zu schätzen, die das Leid jener Flüchtlinge auf dem Tisch der Satten und der ideologischen Falschmünzer servieren, die schlicht nur Freiheit ohne jedwede ideologische Garnierung suchen.

Damit die Flaggschiffe der Schande dann doch noch einen Hafen finden könnten. In einer Welt, in der soviel von Friede, Freiheit, Menschenwürde und Menschenrecht gefaselt wird.

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