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Gotteshaus und Menschenhaus

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Es ist eine alte 'Tradition, daß sich die Christen aller Konfessionen in speziell gestalteten Gebäuden versammeln, um dort gemeinsam den Gottesdienst zu feiern. Aber so ein Gebäude nennt man natürlich nicht „ungestraft" ein „Gotteshaus". So blühen eben die Mißverständnisse. Denn wenn im Bürgerhaus die Bürger wohnen, dann wird ja wohl auch im Gotteshaus der „liebe Gott" wohnen.

Eigentlich sollten es Christen besser wissen. Schon der biblische König Salomo wußte, daß man Gott

nicht wie in einem Vogelkäfig halten kann. Und Salomo baute immerhin einen prächtigen Tempel.

Aber wer hört schon auf einen toten jüdischen König! Christen leugnen natürlich nicht, daß Gott überall anzutreffen ist; aber irgendwie sind sie doch überzeugt: so richtig ist er doch nur in den Kirchen zu Haus. Und darum bauen sie Gott große und schöne Häuser, prunkvoll und luxuriös, und zwar nur für ihn allein, denn die Menschen sind nur als „Besucher" zugelassen.

Menschen mögen schlecht oder

ärmlich wohnen, wenn nur Gott ein schönes Haus hat. So findet es auch kaum jemand anstößig, wenn eine wunderschöne Kirche mitten in einem Elendsquartier steht. Und das alles geschieht auch in bester Absicht und aus Glauben. Nur: ist das der christliche Glaube?

Die Apostel haben es besser gewußt. Für sie war „Kirche" nicht das Wort für ein Gebäude, sondern für die Versammlung aller Gläubigen. Darum waren sie auch überzeugt davon, daß Gott überall dort wohnt, wo seine Menschen wohnen. Ja Paulus

hat noch ein Schäuflein draufgelegt und gesagt: Jeder Mensch, der an Gott glaubt, ist selber eine „Kirche", denn Gott wohnt in ihm.

Die Konsequenz davon ist so revolutionär wie seinerzeit. Wer so glaubt, baut keine „Exklusivkirchen", sondern menschenwürdige Wohnungen. Und tut alles für die Menschen, weil sie ja „Kirchen aus Fleisch und Blut sind". Oder wie Christus beim jüngsten Gericht sagen wird: Die Wohnung, die ihr einem meiner geringsten Brüder gebaut habt, die habt ihr mir gebaut!

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