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„Goebbels war ein ehrenwerter Mann“

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Aufrechte Deutsche dürfen auf- atmen. Fürwitzige Schreiberlinge sollen fürderhin nicht mehr ihre Schnäbel an den Werken eines Goebbels, Hitler oder Bormann wetzen, wie es ihnen paßt. Denn das „Gedankengut dieser Männer“ ist seit einiger Zeit, einem Spruche des deutschen Höchstgerichtes zufolge, urheberrechtlich geschützt, und was dies bedeutet, wird klar, wenn man eine neue Ausgabe der Reden aufschlägt, die der Reichspropagandaminister zwischen 1932 und 1939 gehalten hat.

Auch in diesem Herbst kamen wieder Zentner zeitgeschichtlicher Literatur heraus und das Erscheinen des ersten von zwei Bänden mit Goebbels-Reden hätte die Reporter und Kameramänner des Deutschen Fernsehens bestimmt nicht veranlaßt, sich auf dieses Buch zu stürzen. Daß sie es trotzdem taten, ist auf eine seltsame „Vorbemerkung des Verlages“ und einen unmittelbar anschließenden, noch seltsameren „Vorbericht“ zurückzuführen.

Da der Düsseldorfer Droste-Verlag zwar ein seit einiger Zeit stark zeitgeschichtlich orientierter, aber alles andere als NS-freundlicher Verlag ist, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in seiner „Vorbemerkung“ von dem vorangestellten „Vorbericht“ zu distanzieren und festzustellen, letztere stehe „außerhalb der Verantwortung von Herausgeber und Verlag“. Doch er mußte diesen „Vorbericht“ bringen, und zwar noch vor der Einleitung des Herausgebers, um rechtliche Risken zu vermeiden.

Verfasser des Vorberichtes ist ein Franęois Genoud, dessen Name bisher niemand kannte, von dem man aber, wenn nicht alles trügt, noch öfter hören wird, und zwar immer dann, wenn freche Demokraten es wagen, nicht nur über die Herren Hitler, Goebbels und Bormann zu schreiben, sondern deren Werke, Reden usw. herauszubringen.

Der erste Autor, dem von Franęois Genoud ein nationaler Schuß vor den allzu kritischen Bug gesetzt wurde, war Helmut Heiber vom Münchner Institut für Zeitgeschichte, ein Mann, der dafür bekannt ist, einerseits ein akriber Forscher, geradezu ein „Ärmelschonerwissenschaftler“ zu sein und anderseits journalistische Begabung zu besitzen, Verfasser einer großen Goebbels-Biographie, Herausgeber bekannter zeitgeschichtlicher Arbeiten — die Herausgabe der zweibändigen Sammlung mit Goebbels-Reden wurde vom Droste-Verlag nahezu automatisch ihm anvertraut. Er schrieb auch ein engagiertes, dabei durchaus maßvolles Vorwort, in dem er dem Reichspropagandaminister freilich ein begrenztes Repertoire als wirksam erwiesene Mätzchen, sprachliche Schwächen und, im Innersten, „ideologische Neutralität“ bescheinigte.

Das Buch war, im Manuskript, fast fertig, als der Verlag, der den Abdruck von Reden zeitgeschichtlicher Bedeutung für frei hielt, aus dem Bundesarchiv in Koblenz einen Hinweis erhielt, „es habe da einmal einen Prozeß gegeben“, in dem ein Monsieur Genoud aus Lausanne um die Urheberrechte an Goebbels gekämpft habe. Der Prozeß hatte zehn Jahre gedauert und 35.000 Mark gekostet und war von Genoud in letzter Instanz gewonnen worden. Genoud kennen nur wenige — die ihn getroffen haben, schildern ihn als einen etwa 55jährigen Mann mit Schweizer Aussprache, der „wie ein Vertreter“ aussieht und „die brau nen Reden wie 1935 schwingt“. Er war als Kind kurze Zeit in Deutschland — „da muß es ihn offenbar gepackt haben“, so ein Gewährsmann.

Genoud reiste nach dem Krieg durch die deutschen Lande und kaufte Urheberrechte nach Nazigrößen auf. Er gilt selbst unter den Zeitgeschichtlern vom Fach noch immer als eine etwas dunkle Persönlichkeit, über die kaum jemand Näheres weiß. Gobbels soll Genoud durch seinen „fabelhaften Tod“ besonders beeindruckt haben, Genoud möchte verschiedene Schriften von Goebbels davor bewahren, „in der Presse durch den Dreck gezogen zu werden“. Im Ausland wurden „einige Sachen aus seinem Koffer“ bereits veröffentlicht, in Deutschland noch nicht.

Genoud, im Besitz der Urheberrechte nach Goebbels, gab seine Zustimmung zur geplanten Ausgabe von Reden nur unter der Bedingung, daß ihm auch das Vorwort von Helmut Heiber vorgelegt werde, und war von dieser Forderung nicht abzubringen. Als er es gelesen hatte, befand er: „Dazu können wir und die Erben unsere Zustimmung nicht geben.“ (Einige Geschwister Goebbels’ leben noch.)

Es kam zu einem Kompromiß, eben zur Vorbemerkung der Verlages, der sich vom Vorbericht des Monsieur Genoud, und zum Vorbericht von Genoud, der sich von der Einleitung des Herausgebers Heiber distanziert — eine Kettenreaktion von Distanzierungen nicht ohne Komik. Genoud bekennt in seinem Vorbericht deutlich seine Sympathie für „das Gedankengut dieser Männer, die so durchgreifend und groß auf den Gang der Weltgeschichte cingewirkt haben“, wobei er in einem Nebensatz auch gleich die für zeitgeschichtliche Quellensucher interessante Tatsache mitteilt, daß er „Hitlers letzte Betrachtungen an Bormann“ zwar nicht für eine deutsche, aber für eine französische, von Trevor-Roper eingeleitete Ausgabe freigegeben habe.

Mit Heiber ging er weniger freundlich um — er bescheinigte ihm, sich im Gewand eines Anklägers und Strafrichters zu bewegen, gibt seiner Überzeugung Ausdruck, daß „die Füße derjenigen, welche ,die Zeitgeschichtler der Art Heibers’ hinaustragen werden, schon vor der Türe stehen“ und schließt aus Goebbels’ letzten Worten auf dessen „absoluten Ernst und musterhafte Aufrichtigkeit“.

Da der Prozeß, in dem Genoud die Urheberrechte an Hitler erstritt, kaum beachtet wurde, wäre eine Dokumentation darüber fällig, was damals eigentlich wirklich geschehen ist. Und vielleicht auch eine Prüfung der Frage, wie sich dieses Urteil mit dem nach dem Krieg ausgesprochenen, über die Größen des NS-Reiches verhängten Vermögensverfall verträgt. Der Spruch des deutschen Höchstgerichtes erscheint mindestens so dunkel wie die Person, zu deren Gunsten er ausfiel.

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