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Der Mann der den Hitler-Mythos schuf

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Dr. Viktor Reimann, ständiger Mitarbeiter der „Furche“, legt im Molden- Verlag sein jüngstes Werk — „Dr. Joseph Goebbels“ — vor. Eine politische Biographie, die bereits kurz nach dem Erscheinen Aufsehen erregt. Aufsehen deshalb, weil die Bewältigung der Vergangenheit scheinbar stärker mit der Bewältigung der politischen Wirklichkeit in der Gegenwart verknüpft ist, als man dies wahrhaben will. Um so wichtiger ist ein Buch, das in der Beurteilung der Vergangenheit eine Neuorientierung ermöglicht. Sie ergibt sich aus der Ablehnung der eintönigen Schuld oder Seligsprechungen zugunsten einer vor allem die junge Generation wesentlich mehr interessierenden Klärung historischer Voraussetzungen, die zur totalen Katastrophe führten. Wer war Goebbels, der Mann, der den Hitler- Mythos schuf? Welche Kräfte befähigten ihn, diesen bis zum letzten Atemzug aufrechtzuerhalten und ein ganzes Volk jahrelang über die politische Realität hinwegzutäuschen? Wo 1st die feine Bruchstelle im komplizierten Ablauf historischen Geschehens, an der Treiben und Getriebenwerden ineinander übergehen? Gerade eine der Magie des Wortes entwöhnte Generation wird gut daran tun, die Möglichkeiten politischer Propaganda und Hetze in einer atemberaubenden Szenerie politischen Piratentums zu studieren. Das dem Buch entnommene Kapitel bringt eine Gegenüberstellung der beiden Redner Hitler und Goebbels, An Stelle einer Rezension, die aus Gründen möglicher Voreingenommenheit unterbleibt, mag die Dynamik, mit der Reimann seinen Stoff bewältigt, für sich sprechen. Helga Busek

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Dr. Viktor Reimann, ständiger Mitarbeiter der „Furche“, legt im Molden- Verlag sein jüngstes Werk — „Dr. Joseph Goebbels“ — vor. Eine politische Biographie, die bereits kurz nach dem Erscheinen Aufsehen erregt. Aufsehen deshalb, weil die Bewältigung der Vergangenheit scheinbar stärker mit der Bewältigung der politischen Wirklichkeit in der Gegenwart verknüpft ist, als man dies wahrhaben will. Um so wichtiger ist ein Buch, das in der Beurteilung der Vergangenheit eine Neuorientierung ermöglicht. Sie ergibt sich aus der Ablehnung der eintönigen Schuld oder Seligsprechungen zugunsten einer vor allem die junge Generation wesentlich mehr interessierenden Klärung historischer Voraussetzungen, die zur totalen Katastrophe führten. Wer war Goebbels, der Mann, der den Hitler- Mythos schuf? Welche Kräfte befähigten ihn, diesen bis zum letzten Atemzug aufrechtzuerhalten und ein ganzes Volk jahrelang über die politische Realität hinwegzutäuschen? Wo 1st die feine Bruchstelle im komplizierten Ablauf historischen Geschehens, an der Treiben und Getriebenwerden ineinander übergehen? Gerade eine der Magie des Wortes entwöhnte Generation wird gut daran tun, die Möglichkeiten politischer Propaganda und Hetze in einer atemberaubenden Szenerie politischen Piratentums zu studieren. Das dem Buch entnommene Kapitel bringt eine Gegenüberstellung der beiden Redner Hitler und Goebbels, An Stelle einer Rezension, die aus Gründen möglicher Voreingenommenheit unterbleibt, mag die Dynamik, mit der Reimann seinen Stoff bewältigt, für sich sprechen. Helga Busek

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Im Anfang war das Wort

Im Braunen Haus befand sich ein Bild des Malers H. O. Hoyer aus Oberstdorf. Es zeigt Hitler, der zu einer Schar andächtig lauschender Männer spricht. Darunter steht der Satz des Johannes-Evangeliums: „Im Anfang war das Wort“ Hitler ist der größte Magier unter den Rednern seiner Zeit ein rednerisches Wunder gewissermaßen. Ein Mann, dessen technische Redequalitäten bestenfalls durchschnittlich waren, faszinierte Millionen von Menschen aller Alters- und Standesklassen gerade durch seine Reden.

Es besteht kein Zweifel, daß der Nationalsozialismus tatsächlich durch seine Redner groß geworden ist, besser noch durch seine zwei Hauptredner: Hitler und Goebbels. Hier besteht ein entscheidender Unterschied zu den marxistischen Massenparteien. Der Marxismus ist eine Lehre, die auf wissenschaftlichen Grundlagen aufbaut und nach wissenschaftlichen Methoden erstellt, wurde. Daneben enthält diese Lehre auch Zukunftsvisionen. Der Kommunismus hat diesen Zukunftsvisionen gleichfalls Wissenschaftscharakter zugeschrieben und außerdem noch die Lehre selbst zum unumstößlichen Dogma erhoben. Der Nationalsozialismus hingegen beruhte nicht auf einer Lehre mit wissenschaftlicher Grundlage. Er besaß ein primitives Parteiprogramm, das Lösungen aktueller oder eingebildeter Probleme, etwa des Rassenproblems, schlagwortartig anbot. Wie im einzelnen die Durchführung der Pro- grammpumkte aussehen sollte, das ließ der Nationalsozialismus im Gegensatz zum Marxismus offen. Eine solche Bewegung benötigte ausschließlich Redner, die die gleichen schlagwortartigen Lösungen dem Publikum anboten.

Wer sich heute Hitler- und Goebbels-Reden auf Band Vorspielen läßt, wird feststellen, daß Goebbels der um Klassen bessere Redner ist. Er besitzt alles, was den guten Redner ausmacht: Seine baritonale Stimme hat einen wohlklingenden, warmen Grundton, beherrscht jedoch auch alle Diskanttöne. Humor, Ironie, Sarkasmus, Hysterie, alles spiegelt diese Stimme, und jedes einzelne ist klar voneinander abgesetzt; nichts wird verwischt. Aber auch Trauer, Ergriffenheit, Pathos, Drohung und Aufruhr gehören zum Register. Diese technische Perfektion besitzt der Redner Hitler nicht. Seine Stimme klingt rauh, kehlig und heiser und wird in späteren Jahren immer schärfer und schnarrender. Hitlers Reden wirken heute weder vom Inhalt noch vom Aufbau her interessant. Sie sind leeres, totes Gerede.

Goebbels erzeugte mit der Präzision eines Meßgerätes Stimmungen und Gefühle, berechnete jede Regung des Publikums genau im voraus — jeden Lacher, jeden Pfuiruf, jeden Applaus, Empörung, Hysterie und Begeisterung. Er war ein Meisterspieler, der souverän die Register zog. Auch Hitler bereitete sich auf seine Reden sorgfältig vor, auch er baute Stellen ein, bei denen er Regungen wie Applaus oder Pfuirufe einkalkulierte, doch erwischte er bisweilen den falschen Stimmenzug oder vergaß im Redefluß auf die

Pause, wo die Regung des Publikums zum Ausdruck kommen sollte. Ähnliches gilt auch vom Schauspiel, das beide boten. Goebbels und Hitler waren gute Schauspieler. Beide übten auch vor dem Spiegel Mimik, Gesten und Posen ein. (Dasselbe tat übrigens ein anderer großer Redner, Wmston Churchill.)

Goebbels’ Zucken mit dem Mundwinkel oder sein zusammengebissener Mund, beides Zeichen der Verachtung, waren solch eingelernte Kunstkniffe. Wenn er charmant sein wollte, steckte er die Hände in die Hosentaschen und lächelte, und das Publikum lächelte mit ihm. Ehe er zum Angriff ansetzte, stemmte er die Hände in die Hüften. Dann hackte er mit Worten und mit Händen auf den Gegner ein, so daß sich die Zuhörer unwillkürlich duckten. Wenn er den Gegner erledigt hatte, wischte er ihn mit einer raschen Handbewegung einfach vom Weltgeschehen weg. Sprach er. vom Führer und vom Reich, dann hob Goebbels die Hände wie zur Beschwörung. Diese Geste der Beschwörung kannte auch Hitler. Er ballte aber öfters die Faust, trommelte und schlug, je nach der Größe des Feindes, auf das Rednerpult, wobei seine Stimsträhne herabrutschte. Im allgemeinen wirkten die Gesten von Goebbels artifizieller, die Hitlers schwerer, plumper, brutaler. Goebbels war ein Fechter, Hitler ein Holzhacker.

Und doch war der Redner Hitler dem Redner Goebbels überlegen. Goebbels konnte seine Zuhörer fertigmachen, aufpeitschen, aufhetzen, bestenfalls begeistern und in Ekstase treiben; Hitler aber vermochte sie in eine Art Haschischrausch zu versetzen, sie zu erlösen. Die Atmosphäre in Goebbels-Versammlungen war angespannt, die bei Hitler-Reden schwül. Deshalb stellen Soziologen und Psychologen eine Art sexuelles Hörigkeitsverhältnis zwischen Hitler und seiner Zuhörerschaft fest. Einige erheben die Verbindung zwischen Hitler und seinen Zuhörern sogar auf eine Art religiöse Ebene und sprechen von einer Kommunion zwischen Hitler und der Masse. Wie immer die Formulierung gemeint ist, letztlich war es eine Art von Erlösung, die Hitler mit seiner Rede bewirkte. Seine eigene Erlösung und die seiner Gemeinde. Was Goebbels sagt, ist zumeist bös, ja gemein, aber immer gescheit und ins Schwarze treffend. Selbst die primitivsten Phrasen haben etwas Geschliffenes, Funkelndes. Auch beim Lesen der Goebbels-Reden geht diese Eigenart nicht verloren. Was Hitler redet, ist bisweilen verworren und vermittelt niemals einen rednerischen Genuß. Eine Hitler- Rede zu lesen, verursacht heute Mühe, wenn nicht Qual. Aber der unmittelbaren Wirkung seiner Rede, der magischen Ausstrahlungskraft, mit der er die Zuhörer in seinen Bann zog, konnte sich damals kaum einer entziehen. Hier fand er alles, was ihn aus der Enge seines Daseins zu befreien schien: Schwüle, Dumpfheit, unartikulierte Laute, Dämmern, Rausch, Träume, Ekstase, Erlösung. Adolf Hitlers Reden waren das LSD und Haschisch der damaligen Zeit. Goebbels’ Werdegang zum Redner zeugt von Fleiß und einer immensen Energieleistung. Als er sich in die

Politik begibt, entdeckt er sein Rednertalent. Er arbeitet nun ständig an sich, liest Zeitungen, vor allem der marxistischen Parteien, deren Leitartikel er als „kleine Reden“ erkennt. Allmählich gewinnt er seinen Stü, der am Beginn seiner Laufbahn noch ein wenig pathetisch, ja sogar hymnisch klingt. Der Sprachrhythmus von Nietzsches Zarathustra, der seinen „Michael“ so sehr beeinflußt hat, lebt auch noch in seinen ersten Reden fort. Dann aber gewinnt immer mehr sein Verstand die Oberhand. Seine Reden zeichnen nun Klarheit und Systematik aus. Seine Belesenheit kommt dem Wortschatz zugute. Bis zur Verblüffung erfinderisch an Wortschöpfungen, wenn es gilt, den Gegner in seiner Erbärmlichkeit zu charakterisieren oder der Lächerlichkeit preiszugeben, lernt Goebbels sehr bald, auch die stimmlichen und mimischen Nuancierungen mit den Wortprägungen zu vereinen. So entsteht eine faszinierende Dreiheit von Wort, Rhythmus und Geste, wie sie kein anderer Redner seiner Zeit anzubieten hat.

Goebbels bereitet sich gewissenhaft auf jede Rede vor und feilt an ihr wie an einem Kunstwerk. Er setzt sich fast jede Rede auf, und die Seiten gleichen einem Regiebuch mit den vielen Zeichen, die mit verschiedenen Farbstiften angebracht sind. Lachen, Applaus;, Pfuirufe und Begeisterung sind ebenso vermerkt wie Anrede, Pausen und Schlußwendungen. Goebbels kann natürlich auch aus dem Stegreif reden, fehlerfrei und souverän die Stimmung der Zuhörer erfassend. Auch bei seinen vorbereiteten Reden geht er bisweüen vom festgelegten Text ab, wenn er einer bestimmten Stimmung im Publikum innewird und sie noch stärker anheizen oder ablenken will. Der Beginn seiner Rede ist immer ein langsames .Vortasten. Er spricht das Publikum Im aMHCT Schlichtheit an, wirkt’ bewußt’ ‘ein- fach, ja primitiv. Allmählich tauen die Zuhörer auf, und Goebbels führt sie mit steigendem Tempo dorthin, wo er sie haben will. Dann aber trommelt er auf sie ein, macht sie schreien, toben, brüllen, rasen. Wie ein Hexenmeister gaukelt er den Zuhörern alle Gefühle vor. Goebbels gibt sich körperlich gleich Hitler völlig aus, steht schweißgebadet da — und bleibt doch innerlich kühl. Er verzaubert seine Zuhörer nicht wie Hitler, sondern er behext sie. Er vereinigt sich auch nicht mit ihnen wie Hitler, sondern läßt sie wie Puppen tanzen. Er erlöst sie nicht, sondern putscht sie auf. Er selbst nimmt am Hexensabbat nicht teil, er inszeniert ihn nur.

Darin liegt ein weiterer Unterschied zwischen Goebbels und Hitler als Redder. Goebbels überragt diesen nicht nur von der Redetechnik her, sondern auch in der Wirkung auf die Zuhörer, wenn es darum geht, die Feinde anzuprangern, sie rednerisch zu vernichten, zu zerquetschen, zu zertreten. Hitler aber überragt Goebbels, wenn es gilt, den Glauben aufzurichten. Goebbels spricht von der Vorsehung; auf Hitler ruht die Vorsehung. Daß es dazu kam, daß diese atavistische Glaubensverdunkelung, dieser Medizinmannzauber in den Massen so tiefe Wurzeln schlug, dafür ist allerdings in erster Linie Goebbels verantwortlich — der Mann, der den Hitler-Mythos schuf. Adolf Hitler selbst glaubte an sich und seine Sendung. Als ihm aber Zweifel an dieser seiner Sendung aufstiegen, konnte er auch nicht mehr mit der gleichen Wirkung reden wie einstmals. Hitler wehrte sich ln den letzten Jahren immer mehr, zum Volk zu sprechen, weil ihm die Wunderkraft verlorengegangen war, mit der er das Volk durch seine Rede in einen narkotischen Zustand zu versetzen vermochte. Wenn er in den letzten Jahren doch von Zeit zu Zeit reden mußte, weil ihn sein Propagandaminister dazu drängte, dann tat er es widerwillig dann litt er Quälen. Und dann wirkten Hitlers Worte leer und kraftlos, auch wenn sie noch so martialisch klangen. Fühlte er, daß die Vorsehung, an die er glaubte, ihre Hand von ihm genommen hatte?

Goebbels dagegen brillierte als Redner bis zum bitteren Ende. Er wird, welche Ironie des Schicksals, in den letzten Kriegsjahren eine Art Tröster in der Not — der einzige, auf dessen Wort das Volk noch hört. Er spielt auf der Schalmei im Tanz zum Untergang. Seine Feinde nannten Goebbels einen Teufel, denn er hätte gleich Luzifer die Begabung gehabt, Licht in die Welt zu bringen, doch stürzte er sie statt dessen durch seine Lügen in die Finsternis.

DR. JOSEPH GOEBBELS. Von Viktor Reimann. 383 Seiten. Verlag Fritz Molden, Wien—München— Zürich, 1971. S 182.—.

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