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Gregor schmust mit Papa

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Wir, die Eltern von Gregor Erasmus, haben eine Vorstellung von familiärem Zusammenleben, in der bei aller Gemeinsamkeit Freiraum für individuelle Entfaltungsmöglichkeiten bleiben muß, in der etwa überkommene Geschlechterrollen die Gestaltung unserer Ehe nicht präjudizieren sollen. In den Rahmen dieses partnerschaftlichen Anspruches ist unser nun sechs Monate alter Sohn hineingeboren, vom Beginn seines Lebens an hat er Anteil an unseren Uberzeugungen und deren Konkretisierungen im Alltag. Die Prägung beginnt schon beim Namen: Gregor heißt wie wir „Mitscha-Eibl“, hat den ersten Teil seines Familiennamens von der Mutter, den zweiten vom Vater.

Wir arbeiten beide im Lehrberuf. Dadurch wurde uns die Verwirklichung eines Wunsches erleichtert, den inzwischen viele junge Paare hegen, nämlich geteilte Verantwortung sowohl bei der Kindererziehung als auch bei der materiellen Existenzsicherung durch berufliche Arbeit. Wir sind beide in diesem Schuljahr teilzeitbeschäftigt, haben also genügend Zeit für abwechselnde Betreuung des Babys.

Gregor erlebt von vornherein seine Mutter am Küchenherd und am Schreibtisch, den Vater mit Folienstiften und mit Putzfetzen. Die Aufteilung bewährt sich bislang, gerade auch für Gregor, der von zwei flexiblen, motivierten Elternteilen mehr Zuwendung bekommt als von einem beanspruchten, ans Haus gebundenen.

Eines unserer wichtigsten Erziehungsziele ist ein unverkrampftes Verhältnis zur Leiblichkeit, das gerade Männern oft fehlt. Jene steife, zärtlichkeitsbeschnittene Mannhaftigkeit soll Gregor möglichst erspart bleiben.Den natürlichen Vorsprung an Berührung mit der Mutter—unser Kind wird noch gestillt — macht der Vater durch ausgiebiges Schmusen und Kuscheln wett. Männer, die ihr Neugeborenes an den Leib gebunden tragen, erregen öffentliches Staunen; der Vater Gregors genießt diese Art der Provokation und wünscht dem Sohn eine größere Bandbreite an Körperkontakt zum eigenen Geschlecht als Handschlag und Schulterklopfen.

Ebensowenig soll Gregor die emotionale Verkürzung vieler Männer teilen müssen. Fühlen und mitfühlen, Gefühle äußern, sensibel sein, sich stark und sich schwach zeigen — all diese Fähigkeiten wollen wir ihm zugänglich machen. Das bedeutet zugleich die Herausforderung an uns selbst, Gregor auch unsere Gefühle nicht vorzuenthalten und ein Klima zu schaffen, in dem Tränen der Rührung und der Verletzung ebenso Platz haben wie ein gelegentlicher Wutausbruch.

Wohl ist uns bewußt, daß unser Kind durch mannigfaltige Einflüsse von außen auch mit den traditionellen Rollenbildern von „männlich“ und „weiblich“ konfrontiert werden #ird. Und wenn er dann etwa, vom Kindergarten heimkommend, dies und jenes ablehnen wird, weü das „etwas für Mädchen“ sei, wenn er den großen Helden spielen und mit Spielzeuggewehren durch die Wohnung schießen wird, so werden wir nach einer geeigneten Reaktion suchen müssen. Wir hoffen, daß unsere gelebten Selbstverständlichkeiten prägender bleiben. Die Bereitschaft allerdings wollen wir nie verlieren, unsere Prinzipien von Gregors Wirklichkeit überholen zu lassen.

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