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Großvater der Grünbewegung

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Nachdenklich wiegt der Siebzigjährige den Kopf. „Ja, Chesterton! Das waren noch Zeiten. Damals haben sich noch eine Gertrud Le Fort, ein Paul Claudel und er als überzeugte Katholiken bekannt. Da hat's noch keine pro-, gressiven Kapläne gegeben... Aber ein Grüner sagen Sie? Wirklich?“

Doch, er war der erste Grüne, Gilbert Keith Chesterton. Er lebte vom 29. Mai 1874 bis zum 14. Juni 1936. Und seine im Scheitern erfüllte Sendung war es, im kapitalistischen England der Großgrundbesitzer auf die Notwendigkeit und die Vorteile des Klein-und Mittelbetriebes, auf die Gefahr der Zerstörung des Ökosystems, auf die Schäden einer auf Verschleiß und Genuß ausgerichteten Industrialisierung hinzuweisen.

Nach einer Periode des Pessimismus sprang er mit dem Ruf „Das Gras ist grün!“ in die Buntheit der Welt und - war berühmt. Mit 22 Jahren! Mit 30 war er schon weithin als blendender Stüist und Debattenredner, kurz als „Radikaler“ bekannt.

Seine Paradoxe und Wortspiele, seine Angriffe auf die Größen jener Zeit ergötzten die Literatur-Elite in England und Amerika. Und als er dann, aufgefordert, diesen „Häretikern“ seine „Orthodoxie“ entgegenzustellen, die katholische Kirche entdeckte, wurde das nur als weiteres Bravourstück angesehen.

So kam es, daß er, als er nach dem Ersten Weltkrieg zur grünen Revolution aufrief, viele Erinnerungen an das „enfant terrible“ von einst weckte. Er konnte ja schließlich auch noch mit 50 Jahren ergötzlich keck und keß schreiben. Und den neuen tiefethischen Ernst hinter seinem Lachen wollte niemand recht ernst

nehmen.

„G. K.'s Weekly“, seine Wochenschrift, die erste grüne, legte in ihrer Voraus-Nummer vom Herbst 1924 eine „Alternative“ vor, die in den Worten gipfelte: „Denn was wir wollen, ist nicht ein lächerliches Parteiprogramm, sondern eine Renaissance.“ Er hätte auch schreiben können eine Revolution.

Das war ein Aufruf, der viele junge Menschen begeisterte: Aufbruch in eine andere Welt, in der der Mensch, der kleine Mann, wieder Besitz haben sollte und Spielraum, frei von bürokratischem Reglement.

Es gab Anfangserfolge, ja sogar einige Großgrundbesitze wurden aufgekauft und verteilt. Aber Chesterton mußte seine ganze Arbeitskraft in das Blatt stecken, ja sogar Honorare für seine einträglichen Father-Brown-Kriminal-geschichten - „Wieder eine Fuhre Leichen!“ nannte er sie - gingen für die Finanzierung der Wochenzeitschrift drauf.

Diese war eine Arena für die widersprüchlichsten Meinungen. Chesterton ließ alle seine hochgescheiten Freunde samt ihren Eitelkeiten zu Wort kommen.

Die kleinen Leute, für die er kämpfte, waren ihm dankbar. Aber sie mußten sich darum kümmern, ihr Eigenheim zu erwirtschaften. Die Revolution kam

nicht. Genußsucht und Strebertum wurden stärker denn je. Und der Zweite Weltkrieg kam, wie Chesterton es oft vorausgesagt hatte.

In diesen Jahren schrieb er seine reifsten Werke: den ersten „grünen“ Roman (nie übersetzt), in dem sich mehrere „Spinner“ zusammenfinden, um die Revolution gegen kapitalistische Großgrund- und Fabrikbesitzer vorzubereiten, unter ihnen Owen Hood, ein verträumter Angler, der dann die von einer Verschmutzer-Fabrik kommende ölschicht auf der Themse in Brand steckt; die Phantasie „Die Rückkehr des Don Quichote“, aus der Ernst Bloch nicht müde wurde im „Prinzip Hoffnung“ zu zitieren; „The Outline of Sanity“, eine Grundsatzerklärung für Kleineigentum und Familie; und kurz vor seinem Tod die wunderbare Autobiographie, voll Humor und Dankbarkeit für ein erfülltes Leben.

Chesterton wollte nie verwunden. Immer wieder ermunterte er scheue, scheinbar dumme Menschen zum Sprechen, so daß sie sich plötzlich von ihrer besten Seite zeigten. Immer wieder auch rief er den kleinen Mann zum Widerstand gegen „Müdigkeit und Anarchie“ und zu echter Demokratie auf. Mußte er da nicht scheitern, der erste große Grüne?

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