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Gruppenlastige Zwischenbilanz
Jeder Anthologie wird man ein Fehlen von Namen nachsagen können, keine kann vollständig sein. Einem Herausgeber etwas nachzuweisen, fallt schon schwerer, weü er sich im Vorwort gewöhnlich absichert, allen möglichen Einwänden zuvorzukommen versucht. Um so genauer studiert man das Vorwort, um die Auswahlprinzipien kennenzulemen, warum gerade diese und nicht auch jene Namen. Da wird man allerdings oft im Stich gelassen. Nur festzustellen, daß die Erwähnung oder Nichterwähnung eines Autors „nichts über seine Bedeutung aussagen will“, klingt etwas vage. Die Bedeutung des Wortes „Bilanz“ oder hier „Zwischenbilanz“ wird durch den Gebrauch bestimmt. Und Walter Weiß, der Herausgeber, hält sich im auf das Vorwort folgenden Essay an diesen Gebrauch: er „beschäftigt sich mit den Voraussetzungen, Anfängen und Veränderungen der Nachkriegsliteratur in Österreich bis heute, skizziert die heutige Literatursituation und will Perspektiven eröffnen“.
Um so mehr fragt man sich nach dem Lesen des Essays, nach dem Studium der angegebenen Texte, wieso das Wort Büanz gewählt wurde. Sicher, es heißt einschränkend „Zwi- schenbüanz“, doch der Untertitel „eine Anthologie österreichischer Gegenwartsliteratur“ hebt die Einschränkung wieder auf. Soll noch ein Band, sollen noch mehrere Bände folgen? Denn die getroffene Auswahl, über deren Prinzipien man nichts erfährt, ist doch sehr „gruppenlastig“, das heißt, die Wiener Gruppe und die Grazer Autorengruppe stehen im Vordergrund, oder überhaupt nur noch einzig da. Andere Namen werden zwar kurz erwähnt, sind auch durch Textbeispiele vertreten, doch im großen und ganzen gewinnt man den Eindruck, die österreichische Nachkriegsliteratur spiele sich nur in jenen Gruppen ab (auch andere Gruppen sind nicht erwähnt). Platzmangel? Manche Autoren sind zwei- bis dreimal vertreten, Handke und Artmann sogar fünf- und sechsmal. Zählt man die Texte der Gruppen gar noch zusammen, verschwinden die andern zur Bedeutungslosigkeit. Dritt- und tie- ferrangige werden genannt. Erstrangige anderer Herkunft, die „eine noch so grobe büanzierende Aufzählung spezifischer österreichischer Beiträge zur Literatur der Gegenwart zumindest enthalten muß“, überhaupt nicht. Warum dem so ist, bleibt unklar. Folgen noch andere Zwischenbilanzen? Das sind Fragen, die man sich notgedrungen stellt und stellen muß.
Daß die gebotenen Texte, vor allem das auf Wunsch mitgelieferte Begleitheft, ungemein aufschlußreich, sehr gescheit ausgewählt und zur Verarbeitung aufbereitet wurden, kann und soll auch nicht bestritten werden. Daher wird die Anthologie jedem Kenner und Liebhaber Freude bereiten. Nur darf man sich vom Titel nicht verleiten lassen, anzunehmen, daß hier uneingeschränkt eine Anthologie der österreichischen Gegenwartsliteratur geboten wird. Ein Teil von ihr sicher, jener vor allem, der in den Massenmedien Furore gemacht hat. Das dürfte doch wohl nicht ausschlaggebend gewesen sein; was für den Herausgeber ausschlaggebend war, erfährt man nicht.
ZWISCHENBILANZ, eine Anthologie österreichischer Gegenwartsliteratur, herausgegeben von Walter Weiß und Sigrid Schmid. Residenz-Verlag, Salzburg, 305 Seiten, öS 198.-.
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