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Offener Brief an den Herausgeber

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OFFENE BRIEFE AN DIE ÖSTERREICHER. Herausgegeben von Otto Schulmeister, Verlag Molden. 160 Seiten, S 44.—.

Neun Mann hat Otto Schulmeister in ein Boot gesetzt und sich noch selbst mit hineingenommen; dann möchte

er, daß diese Mannschaft die Strömung gewinnt, „um Österreich ins Freie gelangen zu lassen“. Von den anderen nimmt er an, daß sie nachfolgen. Nach diesem anspruchsvollen Vorwort ist man natürlich um so kritischer, ob hier wirklich das Freie gewonnen wird. Die Zusammensetzung der Autoren ist interessant: gemeinsam ist ihnen die akademische Qualifikation, vielen auch gemeinsam eine gewisse Nähe zur Kirche. Leider sitzen weder eine Frau noch ein Nicht-akademiker unter jenen, die bereits ein Ruder in der Hand haben. Interessant ist auch, daß in der Mehrzahl offene Briefe offensichtlich nur von rechts geschrieben werden. Doch es wäre Voreingenommenheit, wenn man diese Gesichtepunkte allein schon gelten ließe, um das Buch abzulehnen. Ehrlich gesagt, vieles von dem, was die zehn Autoren vorbringen, hat man wo anders oft besser formuliert und konsequenter durchdacht schon gelesen. Alle schlagen sich redlich mit dem Österreichbild herum, wobei je nach beruflicher Ausrichtung jeder eine Liste von möglichen Aktionen vorschlägt und dann doch dabei hängenbleibt, was dieses Land heute eigentlich noch soll. Ein bißchen skeptischer noch wird man, wenn man eine Reihe der genannten Persönlichkeiten auch kennt, weil man des öfteren die Vermutung nicht los wird, daß viele der guten Ratschläge von ihnen selbst verwirklicht werden könnten, wenn es so einfach wäre. Herausgehoben seien hier nur einige Punkte: Wolfgang Aigner, wackerer Synodale und hochgradig politischer Mensch, plädiert für „Widerstandsnester der Jungen“ und reflektiert über das

„zerbrochene Rückgrat“. Es bleibt abzuwarten, wie es dem neuen Herausgeber der „Academia“ mit seinem Widerstandsnest, nämlich der Redaktion, gehen wird. Vielleicht etwas enttäuschend Sixtus Lanner, der als einziger organisatorisch der Politik Verhafteter einseitig für die Landwirtschaft plädiert, Zwangshaft originell wie immer Günther Nenning, wobei er wieder einer Synthese eines neuen Sozialismus und eines neuen Christentums das Wort redet. Die nächste Ehe, die Nenning als Stifter oder Kuppler sieht, ist die zwischen SPÖ und ÖAAB. Daß aber gerade zwischen diesen beiden genannten Gruppen, die sich auf historische revolutionäre Gedanken berufen, und den heutigen Revolutionären, nämlich Nennings gepflegter und gehegter APO, die geringste Chance besteht, einen Dialog zustande zu bringen, muß auch der Altmeister politischen Amalgams bereits eingesehen haben. Ernst Toptitsch bringt ednen Beitrag zur Hochschulreform, der etwas aus

dem Rahmen fällt, weil er mehr von deutscher Sicht getragen ist als von österreichischer Realität. Was dort schon längst zu viel ist, fehlt uns noch in Anfängen. Bedauerlich ist, daß man unter dem am Klappentext angekündigten Diplomaten nur Doktor Gredler gefunden hat, an dessen Intelligenz kein Zweifel gehegt sein soll. Ob er allerdings der einzige is\ der zur außenpolitischen Situation Österreichs eine Aussage machen kann, bleibt dahingestellt. Alles in allem muß man an den Herausgeber doch die Frage stellen, ob er glaubt, daß mit dieser Mannschaft und mit diesem Boot das Freie gewonnen werden kann. Wissen sie alle miteinander wirklich das Ziel, oder bleibt es nur bei einem Herumplanschen mit dem Ruder? Eigentlich reicht uns schon das Unbehagen an Österreich und seiner Situation; lieber wäre uns nicht nur die Aufzahlung der Adressaten, sondern auch gleich die Erklärung, daß die zehn Inhaber dieser Ratschläge auch diese gleich durchführen wollen. Paul Raimund

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