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Gutsherr, Rittmeister, Domherr, Dichter

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Ist es noch an der Zeit, des Mannes zu gedenken, der, 1874 geboren, schon um die Jahrhundertwende mit seinen ersten „Balladen“ und dem „Ritterlichen Liederbuch“ frühen Ruhm erlangte, von dem es aber in einem neuen Literaturlexikon heißt, er habe „einen ritterlich-feudalen Lebensstil verherrlicht“ und „reaktionäres Gedankengut“ vertreten? So leicht kann man sich's nicht machen, die Inhalte seiner Balladen mit seinem Lebensstil in eins zu setzen.

Gewiß war er sich seiner adeligen Abkunft immer bewußt. Es gehörten ja zu seiner Familie nicht nur der „Lügenbaron“ Karl Friedrich Hieronymus, sondern auch der eigentliche Gründer der Göttinger Universität, Gerlach Adolf, ein bedeutender Staatsmann im Hannoverschen Dienst. Und seiner Mutter, der Tochter des großen Sprachforschers v. d. Gabeleniz, aus thüringischem Adel, verdankte er seine poetische, seine Sprachbegabung.

Auf was der Balladendichter sich ebenso zugute hielt, das war die Volkstümlichkeit, die seine Dichtung erlangte, die es zu (für Lyrik!) ungewöhnlichen Aufla-genhöhen brachte, die in keinem Schullesebuch fehlte. Noch 1955 nahm Ludwig Reiners in seinen weitverbreiteten „Ewigen Brunnen“ anderthalb Dutzend seiner Balladen auf. Und es ist nicht nur die allgemeine Beliebtheit der Ballade, des Erzählgedichtes, die solches bewirkt, bei Münchhausen ist es auch die Formgestalt, die er den meist geschichtlichen Stoffen gab, der Klang der Verse, der Bau der Strophen, die im Grunde einfache, aber „schmuckhafte“ Sprache — und nicht zuletzt der unüberhörbare Appell an das Gefühl der Verbundenheit des Hörers und Lesers mit der Heimat, der Geschichte des eigenen Volkes.

Nicht zufällig hat so der JuraStudent an der Georgia-Augusta mit seinem „Göttinger Musenalmanach“ von 1900 angeknüpft an die Geistesgeschichte dieser Stadt, an das 18. Jahrhundert, in dem die Dichter des „Hains“, Bürger, Hölty, Voss, im Geiste Herders in dem berühmten Göttinger Musenalmanach die Ballade besonders gepflegt hatten. In ihm erschien Bürgers „Lenore“, in Münchhausens erstem Almanach standen neben den eigenen Balladen auch die Erstlinge von Lulu von Strauß und Torney und von Agnes Miegel. Darin sehen wir die besondere geschichtliche Leistung Münchhausens, daß er junge Talente aufspürte, förderte, neidlos anerkannte — so Agnes Miegel, der er den unbestreitbar ersten Rang unter den Balladendichtern seiner Zeit zuerkannte —, so später Moritz Jahn, den kritischen Freund seiner letzten Lebensjahre.

Münchhausen war gewiß selbstbewußt, nicht nur als der Gutsherr von Windischleuba in Thüringen, als der Doktor der Rechte, der Rittmeister im Ersten Weltkrieg, der Domherr von Meißen, auch als Poet und Meister der Ballade in der Nachfolge des Grafen Strachwitz und Fontanes, aber er wußte auch seine Grenzen, über die er als Dichter nicht hinauskam. Und wir, die wir noch seine Zeitgenossen waren und ihn kannten, dürfen diese Grenzen nicht übersehen: Er ist ein Nachfahre des Historismus des 19. Jahrhunderts in vielen seiner Balladen, die wir in ihrem uns heute hohl klingenden Pathos, mit ihrer Pagen-Sentimentalität, ihrer Obristenderbheit nur schwer ertragen, ihren geschichts-blinden Adelsstolz („Was Bayard klagte, als er starb“) auch als Flucht aus einer nicht erkannten, nicht angenommenen, geschichtlich so gewordenen „modernen“ Welt sehen müssen.

Vieles an seinem Werk ist Zeitstil, Neuromantik. Aber manches wird bleiben: die „Ballade vom Brennesselbusch“, deren reiner Märchenton die Quelle, Grimms Märchen, nicht verleugnet, der „Bauernaufstand“, „Der steinige Acker“, das „Straßenlied“, von den Adelsballaden „Der Marschall“, die „Mauerballade“, aus dem frühen „Buch Juda“,, „Die Hexe von En Dor“ und „Passah“. Welterfahrung von vielen Reisen bewahrte ihn vor nationalistischer Enge. Davon zeugen die vielen Balladen aus fernen Ländern, Indien, Rußland, Ungarn, den nordischen und den Mittelmeerländern, England und besonders Frankreich, wobei hier das verbindende Element der alte europäische Adel war. Daß dessen Zeiten vorbei, dessen Führungsrolle ausgespielt war, hat der Freiherr wohl gewußt. Nach der tiefen Erschütterung durch den frühen Tod des einzigen Sohnes und in der bitteren Erkenntnis, daß seine Welt dem Untergang geweiht war, hat Börries von Münchhausen am 16. März 1945, kurz bevor die Russen Windischleuba erreichten, in seinem geliebten „Schloß in Wiesen“ sich selbst den Tod gegeben.

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