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Hausmusik für die Gemeinschaft

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Hausgemachte Musik fördert das Zusammenkommen und die geistige Gesundheit.

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Hausgemachte Musik fördert das Zusammenkommen und die geistige Gesundheit.

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Hausmusik ist erfreulich. Natürlich nicht für jeden; einfache Zuhörer, passive Gasttypen können sie fürchterlich finden. Laß sie woanders hingehen und ihr Drittes Programm einschalten! Nein, diese Art von Musik ist erfreulich für tätige Mitwirkende und für diejenigen, die am Rande des Mitwirkens herumschleichen und darauf warten, zur Beteiligung aufgefordert zu werden, und für jene Frauen — und die wenigen weisen Männer —, die es freut, zu sehen, daß die ihnen teuren Menschen glücklich sind, einerlei wohin die Noten fallen mögen. Für mich ist damit immer ein anheimelnder Zauber verbunden gewesen.

Man ist zu Hause, alles ist geborgen und gemütlich, und dennoch wandert man im Geiste mit der Musik durch verlorene Königreiche. Sogar die besten Streichquartette und -trios überleben nicht immer die vor entschlossener Kultur frostige Stimmung jener schrecklichen, der Kammermusik überlassenen kleinen Konzertsäle. Außerdem gibt es eine Konzertfeierlichkeit, so deutsch wie Leberwurst, die viele der würzigsten Zeitvertreibe zunichte macht. —

Wir vergessen, daß eine Menge Musik zum Spaß geschrieben wurde. — Was für ein Unterschied, wenn Feuerschein, Sessel, Tabak und ein Tablett mit Getränken mit einbezogen werden! Die Ausführung mag — wie es bei uns oft der Fall ist — unzureichend, ja sogar ausgesprochen kriminell sein, aber man kann die Stimmung der Meister einfangen, ob sie nun nach dem Heiligen Gral, einem Schoppen Wein oder einem Stück gebratener Gans suchen. (Ich glaube allerdings, daß die späten Beet- hoven-Quartette bei Hausmusikprogrammen ausgelassen werden sollten.)

Man möchte gern besser spielen, aber man freut sich, es überhaupt zu tun. Wenn zum Beispiel Maria (Geige) und ihre Freundin Johanna (Cello) und ich (Klavier, besser oder schlechter) unser letztes Wochenende fast ausschließlich dem Kampf mit Smetanas Trio opferten, so bezweifle ich, ob ich in irgendeiner, außer den langsamsten Passagen, mehr als die Hälfte der richtigen Noten mit der rechten oder ein Drittel mit der linken Hand getroffen habe; doch die von ihrem berufsmäßigen Maßstab losgelösten Mädchen freute es, und was mich Herumtappenden und Murrenden und Schwitzenden betrifft, so möchte ich für keine hundert Pfund eine Minute versäumt haben.

Ich trank, während ich die Leiche des armen Smetana zuschanden ritt, die Milch des Paradieses. Wir hatten keine Zuhörerschaft und brauchten auch keine, sondern brachen morgens und abends zusammen zum böhmischen Blau auf.

Aber es ist nicht nötig, daß ich selbst mitwirke oder zu Hause bin, um diese Freude zu empfinden. Während ich dieses schreibe, blitzen Erinnerungen an viele Räume auf, in Bradford und Cambridge, in einem Landhaus und in einem Atelier in Chelsea und halbvergessenen Wohnungen auf dem Kontinent; und Feuerschein und Kerzenlicht spielen zärtlich um die Instrumente; und Mozart und Haydn, Brahms und Debussy gehen zwischen uns umher, und innerhalb des Kreises freundlicher Gesichter, Schemen dieser vielen Jahre, scheinen und drehen sich die kleinen Welten des Klangs wie verzauberte Monde.

Denn — Gott steh unseren verwirrten Seelen bei! — jedesmal, wenn eine Geige in der Rumpelkammer verschwindet, ein Klavier abtransportiert wird und ein Mechanismus an ihre Stelle tritt, der Musik an- und abdreht wie ein Wasserhahn, entfernen wir uns einen Schritt weiter von geistiger Gesundheit und murren lauter denn je.

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