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Helfer und Unbeholfene

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Nicht genug, daß heutzutage schon alles wegkomponiert ist: eine Dreiklangzerlegung — der Donauwalzer; eine gestotterte Mollterz hinunter - die Schicksalssymphonie; eine Quart hinauf — die Feuerwehr; vorher eine Quint dazu — Also sprach Zarathustra.

Es ist nichts mehr da, was noch vor ein-, zweihundert Jahren, brach herumliegend, den Beethovens und Mozarts sich geradezu aufdrängte, sie brauchten nur zuzugreifen.

Nicht genug auch damit, daß im wesentlichen auch alles Malbare weggemalt ist. Sonnenuntergänge, spielende Hunde, unbekleidete Herren und Damen, verwelkte Gänseblümchen und dreckige Hinterhöfe, wobei sogar schon die Variationen, die Sonnen grün, die Nackten sechsköpfig und die Hunde wie verwelkte Gänseblümchen darzustellen, verbraucht worden sind.

Nein, es ist, und da geht's der Feder an den Nerv, auch bereits alles weggeschrieben. Vom plätschernden Bach bis zu Donner und Blitz, vom verlorenen Sohn bis zur abwegigen Gouvernante, vom farbenblinden Ohrenarzt bis zur Vatermörderin. Heldensagen, Liebesromane, Pamphlete, Oden für und gegen den Krieg, Fabeln: die Felder der Literatur sind abgegrast.

Neudichtungen versuchen sich bereits an Schneewittchen als EDV-Programmiererin und Wallenstein als Disc-Jockey, doch sind die Erfolge kläglich. Schon Nestroy hat darauf verwiesen, daß für die zweiten Teüe nicht mehr das Interesse ist.

In dieser Notlage sich befindend und das dauernswerte Schicksal zeitgenössischer Musik, die vielerorten nur lähmendes Entsetzen oder gähnende Langeweile hervorzurufen imstande ist, nicht teüen wollend, hat der gegenwartsbezogene Schreiber Zuflucht zum zielgruppenorien-tierten Marketing genommen und doch noch eine gewinnträchtige Marktlücke des fin de millenaire entdeckt: die Lebenshilfe.

Mit punktgenau erarbeiteter Strategie hat er erkannt, daß der Mensch unserer Tage, dem Alphabetismus gerade noch zugehörig, der Denk-, Blick- und Handführung bedarf, wo immer er sich befindet.

Richtiges Gehen und Sitzen, vorteilhaft durchgeführtes Füße-waschen, erfolgträchtiges Essen, gesundes Autofahren, zielorientiertes Schlafen - das alles kann, da es keinerlei Selbstverständliches aufweist, dem Heutigen nun in eigens dafür verfaßten Ratgebern der Print-, Audio- und Videomedien nahegebracht werden.

Ein Heer von Schreibern widmet sich ruhelos dieser Aufgabe und hat sich zu diesem Zwecke bei den hiefür geeigneten Kommunikatoren verdungen.

Bekommt der Konsument aber damit, so fragt der findige und fündige Helfer, Orientierung genug? Eben nicht, denn abgesehen vom Geist besteht das krückenbedürftige Wesen ja nicht nur aus dem bis zum Schnürsenkelbinden abgedeckten Körper, sondern auch aus einer äußerst berücksichtigungswürdigen Seele.

Und so entstehen die Lebenshilfen der gehobenen Art: Zehn-teüer wie unendlichkeitsträchtige Fernsehserien zeigen dem allabendlich in den Kaminfeuer-Ersatz Starrenden, wie er ist, wie er sein möchte, wie er angeblich nicht sein will und wie es anderen so geht, gut und schlecht, egal, man kann sich daran aufrichten.

In der nicht gerade unmoralischen, aber doch seelisch bedürfnislos machenden Anstalt des Büdschirms findet der Haltsuchende sein Heü, Klatschkolumnen und eigens dafür angeheuerte KleinkaJiber-Giftschleudern befriedigen Voyeurismus und Aggressionslust, optimistische Tageshoroskope kalmieren allzu hohen streßbedingten Blutdruck, fallweise Wahlinserate besorgen gemeinsam mit Schlagertexten den Rest.

In die Tantiemenkassen der Schriftsteller fließt's wieder.

Maler, Büdhauer und Musikanten müssen sich erst was Gleichwertiges einfallen lassen.

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