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Hölderlin und die Zuchthäusler

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Das Schauspiel, seit einiger Zeit als Aschenbrödel der Grazer Vereinigten Bühnen verspottet, gab vor kurzem ein völlig unerwartetes, kräftiges Lebenszeichen von sich. Zu danken ist es dem Schweizer Autor Hansjörg Schneider, Jahrgang 1938, Germanist (der bei Muschg promovierte), dann dem jungen Regisseur Dr. Heinz Hartwig und einer Handvoll Nachwuchsdarsteller.

Schneiders Einakter ,ßrod und Wein“ der als Erstaufführung auf der Grazer Probenbühne gebracht wurde, hat ein faszinierendes Thema, das eine dramatisch unglaublich fündige Situation bedingt: in eine Gefängniszelle, in der ein Gewohnheitsdieb und zwei Mörder ein seltsames Ritual des Zusammenlebens entwickelt haben, kommt — angeblich nur für eine Nacht, wegen Platzmangels — ein Untersuchungshäftling, der seine Frau erschlagen hat (was er heftig leugnet). Der Neue ist Deutschprofessor und Hölderlin-Spezialist. Bald aber zeigt sich unter der „Behandlung“ durch die Zellengenossen, daß diese Vorliebe für Hölderlin eher eine Flucht in den schönen Schein ist, mit der der Professor die triste Bedeutungslosigkeit seines familiären Alltags samt dessen subtiler Unterdrückung kompensieren möchte. Die psychischen Stauungen der drei jugendlichen Mithäftlinge entladen sich in einem langsamen Crescendo von Aggressionen auf engstem Raum. In einem harmlos erscheinenden, zuerst noch verbal bestimmten Spiel, in das immer mehr Aktion dringt, die schließlich vor Kraßheiten nicht zurückscheut, — in einem wahren Teamwork von Stegreifspielern arbeiten sich die drei über Hölderlins „Brod und Wein“ an den Professor und seinen fadenscheinigen deutschen Idealismus heran, bis der Blödel-Terror plötzlich umspringt in ein Verhör und in die Folter. DieBrutalität hat's erreicht: das Geständnis ist da.

Dieses vielschichtige, sehr wirksame Werk erlebte in Graz durch Heinz Hartwig eine rühmenswerte Wiedergabe. Der Regisseur hat mit größter Genauigkeit, vor allem im verbalen Bereich, inszeniert und mit sprachlicher und gestischer Nüancie-rung unerhört packende Steigerungen erzielt. Das hohe Maß dieser Leistung ist an den hervorragend geführten jungen Schauspielern abzulesen: Erhard Koren vor allem in einer faszinierend echten Studie, aber auch Bernd Jeschek und Ernst Prassel. Als Deutschprofessor brillierte Walter Kohls mit allen Schattierungen dieser schillernd-interessanten Figur.

BeiUnis Oper „Die Nachtwandlerin“ erschien in Graz im Original als „La Sonnambula“, konnte aber an sich kein nennenswertes Interesse — weder für die simple und gar zu verstaubte Handlung noch für die nicht eben attraktive Musik — wecken. Der Einsatz und die Qualität der künstlerischen Leistung bei der Wiedergabe kann allerdings nicht genug bewundert werden. Argeo Quadri führte durch die Musik mit liebevoller Betulichkeit, Jean-Pierre Ponelle (der eigentlich inszenieren hätte sollen) hatte ein höchst inspiriertes, wie mit Mehlstaub bedecktes Bühnenbild geschaffen, das mit Recht Sonderbeifall erhielt, und Alfred Wopmann hat die bescheidene Aktion recht gefällig arrangiert. Sont Ghazarian war eine brillante, sehr lyrisch gezeichnete Amina, Adolf Dallapozzo ihr samtweicher Tenor-Partner, und der riesige Giovanni Gusmeroli (als Graf Rodolfo) beeindruckte durch das edle Timbre seines Basses.

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