Coronakrise: Warum nicht zu Hause reisen?

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Schon Blaise Pascal hat vollmundig verkündet, dass das ganze Unglück der Menschen daher rühre, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können. Nun könnte man zeigen, dass er irrt.

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Schon Blaise Pascal hat vollmundig verkündet, dass das ganze Unglück der Menschen daher rühre, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können. Nun könnte man zeigen, dass er irrt.

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Alle sind jetzt gefordert. Viele verrichten ihre Arbeit jetzt von zu Hause aus, und wenn es dort schulpflichtige Kinder gibt, ist sogar ein neuer „Full-Time“-Job dazugekommen. Doch diese Zeilen richten sich weniger an die Gestressten, für die sich nun Beruf, Schule und Familie an einem einzigen Ort verdichten. Vielmehr an jene, die jetzt vielleicht Stress erfahren, weil sie zu viel Zeit haben – und sich einsam fühlen, aus ihren Gewohnheiten gerissen und auf sich selbst zurückgeworfen sind.

Auch das ist keine einfache Situation, wie Psychologen zurzeit betonen. Dass das ganze Unglück der Menschen daher rühre, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können, hat schon der Philosoph Blaise Pascal vollmundig verkündet. Sekundiert wird er von Psychotherapiepionier Fritz Perls: „In Wirklichkeit gibt es keine Langeweile, nur mangelndes Interesse.“ Wenn der persönliche Kontakt zu Menschen wegfällt, bleiben jedenfalls noch die eigenen Dinge, zu denen man in Beziehung treten kann.

Der Trost der Dinge

Dass die über die Jahre angesammelten Objekte in den eigenen vier Wänden mehr als bloß „Material“ sind, hat Daniel Miller in seiner Studie „Der Trost der Dinge“ eindrucksvoll gezeigt. Der britische Anthropologe untersuchte Wohnungen in einer gewöhnlichen Straße in London. Dort trug er Erkenntnisse davon: Wie sich jemand einrichtet, sage meist viel über seinen Lebensstil, sein Lebensgefühl und auch sein Lebensglück aus. Es zahlt sich aus, so Miller, darüber nachzudenken, wie sich Alltagsgegenstände zur Steigerung des Wohlbefindens einsetzen lassen. In der Coronakrise können die Dinge nun zeigen, wieviel Trost tatsächlich in ihnen steckt: Wer eine volle Bibliothek, eine alte Plattensammlung oder einen angeramschten Dachboden sein Eigen nennt, hat aktuell eine gute Ausgangsposition. Wer bereits mit der Tradition der „Zimmerreisen“ vertraut ist, eine noch bessere.

Als der französische Offizier Xavier de Maistre im Gefängnis seine „Reise um mein Zimmer“ (1795) schrieb, konnte er nicht ahnen, dass er damit ein Motiv geschaffen hat, das über die Jahrhunderte inspirierend geblieben ist. Das Gefühl, unterwegs zu sein, ohne sich fortzubewegen, taucht seither in vielen Werken auf. Denn wenn man sein Zuhause mit einem frischen und fremden Blick betrachtet, tun sich womöglich „unendliche Weiten der Nähe“ auf, wie Bernd Stiegler in seiner Kulturgeschichte der Zimmerreisen („Reisender Stillstand“) bemerkt.

In Corona-Zeiten ist der Autor übrigens selbst auf den Geschmack gekommen: Auf Facebook berichtet er jetzt täglich über seine Erfahrungen im Eigenheim – von der Aussicht aus dem Fenster über die Gemälde an der Wand bis hin zum geistigen Universum seiner Bücher. Eine Zimmerreise kann menschlichen Kontakt zwar nicht ersetzen, aber vielleicht gerade jetzt über so manche Durststrecke hinweghelfen.

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