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In Siebenmeilenstiefeln

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Gerechtere Verteilung der Früchte der Prosperität ist für den südkoreanischen Präsidenten Roh Tae Woo eines der ersten Ziele für die nacholympische Ära. Jetzt will man das einmal Erreichte „mit Stolz“ der Welt präsentieren — so Roh unlängst in einem Interview mit „Newsweek“. Künftig soll aber der Arbeiterklasse der Aufstieg in die Mittelklasse ermöglicht werden.

Mittelklasse — Zauberwort in allen Gesellschaftsschichten Südkoreas — ist für Roh „die stärkste Basis für die Demokratisierung des Landes“. Die Entstehung einer breiten Mittelklasse ist eines der Ergebnisse des südkoreanischen Wirtschaftswunders seit Beginn der siebziger Jahre.

Der Ausgangspunkt für das geteilte Land nach dem Krieg war nicht gerade rosig: Zwei Millionen Tote und 3,5 Milliarden Dollar Sachschaden gab der Süden an. Die Verluste im Norden wurden mit einer halben Million Toten und 1,7 Milliarden Dollar Schaden an Produktionswerten angegeben.

Die ökonomische Lage der beiden Landesteile weist in den frühen fünf ziger Jahren ein industrielles Ubergewicht für den Norden aus. Während der Süden Zentrum der Leichtindustrie und da^ landwirtschaftliche Reservoir war, hatte der Norden Vorteile im Sektor Rohstoffe.

Nordkorea war also eindeutig im Vorteil, vor allem im Reichtum an Rohstoffen, die dem Süden fehlten. Doch war es später gerade dieser Umstand — die Einfuhr von Rohstoffen und deren moderne und rasche Verarbeitung —, der die Basis des Wirtschaftswunders im Süden wurde.

Vonl954 bis 1962 stieg das Nationaleinkommen im Norden jährlich um 22,1 Prozent, im Süden dagegen nur um 4,7 Prozent. Beim Pro-Kopf-Einkommen war der Unterschied noch krasser: 17,2 Prozent für den Norden, nur 0,8 Prozent für den Süden.

Doch schon von 1961 bis 1970 — in der Phase zweier Fünfjahrespläne — holte der Süden leicht auf, es gab ein Pro-Kopf-Wachstum von 9,3 für Seoul und von 8,9 Prozent für Pjöngjang. Westliche Quellen geben für 1973 ein Pro-Kopf-Einkommen von 373 Dollar für den Süden und 330 Dollar für den Norden an. Ab diesem Zeitpunkt lief der Süden dann davon.

Schon mit dem ersten Fünf jahresplan unter der Regierung General Parks trat die entscheidende Wende ein. Denn auch im Süden ist der staatliche Dirigismus das entscheidende Element in der Wirtschaft. Und das rabiat-antikommunistische Regime griff ungeniert zur kommunistischen Erfindung des Fünf jahresplans. Der Norden wie der Süden waren vom gleichen Ziel geprägt: Uberwindung der Kriegsschäden, Ankurbelung der Produktion, Hebung des Lebensstandards, kommerzielle und technische Ausbildung des Nachwuchses sowie Anschluß an den Welthandel.

Südkorea hat sich im Verlauf von 30 Jahren vom armen Agrarstaat zum NIC (Newly Industrialised Country) entwickelt, das heute auf den Weltmärkten (siehe Graphik Seite 10) Japan Konkurrenz macht und selbst in den amerikanischen Automarkt einbricht.

In den entscheidenden Jahren zwischen 1962 und 1976 entwickelten sich die Industrialisierung und Modernisierung der südkoreanischen Wirtschaft mit Siebenmeilenstiefeln, während die Landwirtschaft Schwindsucht bekam. Sie schrumpfte von 44,9 auf 20 Prozent, die Industrie schnellte von 11 auf 36 Prozent hinauf. Die Exporte stiegen um 37 Prozent, doch war ihre einseitige Ausrichtung und damit Abhängigkeit zu erkennen: 40 Prozent der Exporte gingen in die USA, 20 Prozent nach Japan, weitere 17 in die EG-Staaten, 13 Prozent in den Nahen Osten.

Bis 1971 wuchs das Brutto-Na-tionalprodukt jährlich um.zehn Prozent und erreichte 1973 sein Höchstwachstum mit 16,5 Prozent.

Abwanderung in Städte

Der exportierte Warenkorb veränderte sich zusehends: Waren es in den sechziger Jahren, noch zu 80 Prozent Nahrungsmittel, so verlagerte sich in den siebziger Jahren das Schwergewicht auf Textilien und Holz, in den achtziger Jahren schließlich auf Elektronik, Schiffbau und Motorfahrzeuge.

Ein weiteres Merkmal der rasanten Wirtschaftsentwicklung war die Abwanderung in die Städte. In den 15 Jahren von 1965 bis

1980 stieg der Anteil der Stadtbevölkerung von 28,3 auf 54,9 Prozent der Gesamtbevölkerung (heute etwa 42 Millionen). Symbol für diese Veränderung ist das Explosionswachstum der Hauptstadt Seoul von 1,5 Millionen Einwohnern im Jahre 1955 auf geschätzte zehn Millionen (sechstgrößte Metropole der Welt) im Olympiajahr 1988.

Der Glanz der Kennziffern täuscht oft darüber hinweg, daß ein großer Teil der Bevölkerung von den Segnungen des Wirtschaftswunders nicht nur ausgeschlossen ist, sondern daß dieser Ausschluß die Basis für das Wunder darstellt. Denn nur durch Billiglöhne kann Südkorea die Konkurrenz aus dem Felde schlagen und neue Exportmärkte erschließen.

Opfer des südkoreanischen Wirtschaftswunders sind vor allem die ungelernten Arbeiter, die Bauern und die Frauen. Wenn es nach Präsident Roh geht, wird man sich künftig stärker auf diese Gesellschaftsschichten konzentrieren, hs/fmg

KOREA - Olympia im Land der Morgenstille. Von Harry Sichrovsky. Verlag Lübbe, Bergisch Gladbach 1988. 288 Seiten, öS 68,64. KOREA - Geteiltes Land. Von Mario Am-bronius. Edition Myron, Berlin (West) 1988. 164 Seiten, öS 232,40.

38MAL KOREA. Von Gebhard Hielscher. Serie Piper, Band 5125, München 1988. 494 Seiten, öS 209,-.

SCHLAFLOS IN PJÖNGJANG. Von Alfred Pfabigan. Verlag Christian Brandstätter, Wien 1986. 254 Seiten, öS 240,-.

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