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Inneramerikanisch ?

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Anläßlich des 75jährigen Bestehens der Nobelstiftung kam es in diesen Tagen in Stockholm zu Festlichkeiten, die alles von dieser Stiftung bisher Gebotene in den Schatten stellten.

Mit einer Erhöhung um 80.000 Kronen gegenüber dem Vorjahr erreichte der Nobelpreis in diesem Jahr eine neue Rekordhöhe. Die Preise für Physik und Medizin wurden allerdings an je drei Forscher vergeben, die Preise für Chemie und Ökonomie an zwei Wissenschaftler. Der Literaturpreis ging ungeteilt an Eugenio Montale, Italien. Diese Wahl hat nicht wenige berufsmäßige Kritiker in arge Verlegenheit versetzt, hatte man doch eine andere Entscheidung erwartet und wußte von dem diesmal Auserkorenen so gut wie nichts. Aber unerwartete — und mitunter recht unbegreifliche — Entscheidungen der verschiedenen Komitees gehören ja schon zur Regel.

Immerhin kann man von den

Stockholmer Beschlüssen sagen, daß sie nicht so völlig unbegreiflich — um nicht zu sagen provozierend — sind wie die unerforschlichen Ratschlüsse des norwegischen Nobelkomitees. Wenn die Entscheidungen der Schwedischen Akademie (die den Literaturpreis verteilt) oft schwach begründet erscheinen, dann mag dies daran liegen, daß bei der Auswahl der Preisträger zweifellos die persönlichen Neigungen, Abneigungen oder auch persönliche Verbindungen einiger weniger Akademiemitglieder eine große Rolle spielen; bei der Begründung für die Zu-erteilung des Preises ist es mitunter nicht schwer, die „Handschrift“ des einen oder anderen Mitgliedes der Akademie zu erkennen. Subjektive Bewertungen spielen, wie man Grund hat, anzunehmen, auch bei der geflissentlichen Nichtbeachtung bestimmter Kandidaten und Regionen eine Rolle.

Es kann kaum bestritten werden, daß es auf diesem Gebiet zu einer Art „Wettbewerb der Nationen“ gekommen ist. Man halte sich nur die Tatsache vor Augen, daß von den 461 seit dem Jahre 1901 gewählten Nobelpreisträgern nicht weniger als 126 Amerikaner und 72 Briten waren. Das Entstehen einer in die Augen fallenden angelsächsischen Schlagseite war deutlich bereits in den ersten Jahren nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges zu bemerken. Während in den ersten 45 Jahren dieses Jahrhunderts der Chemiepreis nur dreimal an Amerikaner vergeben worden war, wurden in den darauffolgenden 20 Jahren elfmal

Bürger der USA und neunmal Briten mit diesem Preis bedacht.

Ein weiteres Beispiel: an den Nobelfeiern dieses Jahres nahmen — außer den Preisträgern für 1975 — 49 frühere Nobelpreisträger teil. Unter ihnen befanden sich zehn Briten, fünf Russen, zwei Deutsche, je ein Vertreter Frankreichs, Japans, Kanadas und Argentiniens — und 27 US-Amerikaner! Kein Wunder, daß mitunter die ironische Bemerkung laut wird, die Preisverteilung sei in der Nachkriegszeit mehr und mehr zu einer inneramerikanischen Angelegenheit geworden.

Auffallend stiefmütterlich sind von der Schwedischen Akademie der deutsche Sprachraum, die Sowjetunion sowie Mittel- und Südosteuropa behandelt worden. Es mag bei deutschen Politikern und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens mit Unbehagen bemerkt werden, in Stockholm nicht höher im Kurs zu stehen als die Russen, aber hier sitzen sie tatsächlich mit den Osteuropäern im gleichen Boot, dauerte es doch mehr als 40 Jahre, bis nach Thomas Mann (1929) wieder einmal ein Deutscher mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt wurde. Und von den vier bisher gewählten Russen sind drei Angehörige der inneren oder äußeren Emigration gewesen, und ihre Wahl war unverkennbar eine Demonstration gegen das politische System der Sowjetunion.

Von den großen deutschen und österreichischen Dichtern der zwanziger Jahre, Rainer Maria Rilke, Stefan George, Robert Musil, Josef Roth, Franz Werfel, Stefan Zweig, um nur einige zu nennen, fand keiner die Beachtung der Schwedischen Akademie, was sicherlich weniger als eine Abwertung der Bedeutung dieser Dichter gedeutet werden kann, als es dem Urteilsvermögen der Akademie ein schlechtes Zeugnis ausstellt. War dieses geflissentliche Übersehen wirklich nur ein Zufall? Und auf der anderen Seite: Was hat noch Gültigkeit und Bestand, das in den letzten 40 Jahren auserwählt und durch einige Tage gefeiert worden ist?

In den großen schwedischen Zeitungen konnte man vor den diesjährigen Nobelfeiern kaum einen Beitrag von Bedeutung über Eugenio Montale lesen, wohl aber, kurz vor dem Nobelfest, in „Dagens Nyheter“, der größten Morgenzeitung Skandinaviens, einen fünfspaltigen Artikel über den Schweizer Schriftsteller Max Frisch, in dem dessen Werk außerordentlich positiv behandelt wurde. Eine sehr sublime, aber un-überhörbare Kritik.

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