6838361-1975_28_09.jpg
Digital In Arbeit

Ist nicht auch Volkskultur schutzwürdig?

Werbung
Werbung
Werbung

Die gewaltigen Veränderungen im Gefüge des Dorfes und die Umschichtung in der Bauernwirtschaft machen das seit Jahrhunderten Bestehende vielfach wertlos und gaben ihm ein tragisches Aussehen: verfallende oder faulende alte Bauernhöfe, Ställe ohne Vieh, Wagen ohne Rös-ser, Mühlen ohne Korn ... Die junge Bauerngeneration, einem trügerischen Phantom folgend, kehrte ihrem angemessenen Lebensraum den Rücken, wanderte vielfach in die Stadt ab und verleugnete das Althergebrachte. Den Rest bewerkstelligte der Einbruch der Technik ins

Dorf und der Einzug der städtischen Zivilisation auf dem Hof. An Stelle der zerfallenden, alten Bauernherrlichkeit wuchsen freche, unförmige Betonkästen, Silotürme und Maschinendepots empor, die so gar nicht in die Landschaft passen wollen.

Wie überaus angenehm wird man dagegen überrascht, wenn man irgendwo doch noch etwas von der alten, traditionellen Bauernarchitektur entdeckt. Mit dieser meiner Veröffentlichung möchte ich im Jahre des Denkmalschutzes die zuständige

Behörde auf ein höchst seltenes und wie durch ein Wunder noch heil gebliebenes Ensemble erhaltungswürdiger bäuerlicher Holzarchitektur aufmerksam machen, das ein hervorragendes Kulturdenkmal unseres Landes darstellt und unbedingt geschützt werden müßte. Es handelt sich um ein pittoreskes Ensemble von neun (!) Fludermühlen in Kärnten, die heute noch intakt sind und von den Besitzern (Bergbauern) in Betrieb gehalten werden.

An einer steilen Berglehne, im Angesicht der schneebedeckten Gipfel der dreitausend Meter hohen Schobergruppe im Oberen Mölltal, am reißenden Apriachbach, reihen sich dicht aneinander, auf hohe Holzsäulen über die schäumenden Wasser gestellt, neun Blockgebäude bäuerlicher Hausmühlen, von einer Konstruktion, die man bei uns nur im Möll-, Puster-, Defereggen- und Ötz-tal sowie in der Umgebung des Mill-stättersees, nebst Südtirol, kannte und deren Existenz schon seit dem späten Mittelalter urkundlich belegt ist. Diese Art von Mühlen mit ver-tikalachsigen Flügelrädern, die man

Stock- beziehungsweise Fludermühlen nennt, sind heute bereits eine große Rarität, da die meisten von ihnen längst abgebrochen wurden, weil man sie nicht mehr brauchte oder man ließ sie verfallen, weil sich niemand mehr um sie kümmerte. Heute ist die Zahl der noch bestehenden Stock- oder Fludermühlen, die noch in Betrieb sind (in Döllach, Kaning bei Radenthein, in Südtirol) sehr gering, und viele aus der jüngeren Generation wissen überhaupt nichts mehr von ihnen. Deshalb ist die ungewöhnliche, malerische Gruppen von insgesamt neun Fludermühlen am Apriachbach in Kärnten, die von den Bauern noch immer benützt werden, eine volkskundliche Sensation und obendrein ein Kulturdenkmal und eine Sehenswürdigkeit von höchstem nationalen Rang. Eine ähnliche Anhäufung von Fludermühlen gibt es heute im gesamten Alpengebiet nirgends mehr. In Europa begegnen wir einer ähnlichen Gruppe von Fludermühlen nur noch einmal, und zwar in Jugoslawien bei Jajce am Pliva-Fluß. Fludermühlen, manchmal auch

Stockmühlen genannt, können nur an kleinen Bächen mit starkem Gefälle errichtet werden. Das Blockgebäude einer solchen Mühle steht unmittelbar über dem Bach, auf festen, dicken Pfählen. Aus dem Boden (Bauch) des Mühlengebäudes ragt vertikal nach unten, zum Wasser, ein starker Wellbaum (Achse), der mit dem Mühlstein verbunden ist und der am unteren Ende lärche-ne Schaufeln (das Flügelrad) trägt. Ein scharfer Wasserstrahl aus dem „Lursch“ (der hölzernen Wasserrinne) auf die „Fluder“ bringt das Flügelrad in schnelle Umdrehungen.

Der Wellbaum mit den lärchenen Schaufeln arbeitet wie eine Turbine und dürfte jedenfalls deren technischer Ahne sein. Oft besitzt eine solche Mühle, was auch bei den Apri-acher Fludermühlen der Fall ist, zwei Wellbäume mit Flügelrädern, besitzt also gleichzeitig zwei Mahlgänge, die durch einen schwenkbaren „Lursch“ abwechselnd in Gang zu setzen sind.

Gemahlen wird hier, wie in alten Zeiten, Hafer, Roggen, Weizen und Gerste. Und dies' das ganze Jahr hindurch, am häufigsten aber erst nach dem Schnitt, also im Herbst, nach getaner Feldarbeit. Ist die Flu-dermühle in Betrieb, so hört man schon von weitem das Klappern und das sausende Auftreffen des scharfen, aufschäumenden Wasserstrahls aus dem „Lursch“ (= Ursch, Irsch) auf die ■ „Fluder“. Die raschen Drehungen der Fluder bringen die Mühle in Vibration, sie beginnt zu zittern und zu leben ... Für den Zuschauer ist das Verweilen in ihrer Nähe ein spannungsgeladenes und ungewöhnliches Erlebnis. Noch sind die Fludermühlen von

Apriach, wo schon so viel sich verändert hat, nicht unmittelbar vom Verfall bedroht. Dennoch sollte dieses großartige Ensemble bäuerlicher Volkskultur vom Bundesdenkmal-amt sorgsam im Auge behalten, behütet und unter Denkmalschutz gestellt werden, damit keine störenden Veränderungen am Objekt selbst und an seiner unmittelbaren Umgebung erfolgen. Das Apriacher Müh-lenensembe stellt ein Kulturdenkmal dar und sollte Vorrang genießen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung