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„Judensohn aus Südtirol

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Berichte über wissenschaftliche Tagungen geraten meist oberflächlich, weil sie oft nur eine geringe Erweiterung , des Tagungsprogramms sein können. Zu jedem Referenten folgen Thema und ein, zwei Sätze der Erklärung.

Ein derartiges Telegramm über die dritten Gaismair-Tage in Bo-zen/Bolzano über „Ursprünge und Aktualität des Antisemitismus“ kann aber aus einem weiteren Grund das Wesentliche nicht tref-

fen: die Begegnung zwischen Historikern, Journalisten, Juristen und Studenten — Juden und Nicht-Juden.

Obwohl es während der Vorträge und in den anschließenden Diskussionen immer wieder scheinbar nur um „nackte Fakten“ ging, war doch den Teilnehmern klar, daß es um mehr geht, als um ein „wissenschaftliches Kolloquium“. Es geht um konkrete Menschen. Die Juden unter den Teünehmern legten immer wieder Zeugenschaft für die „Aktualität des Antisemitismus“ ab.

Nadine Hauer aus Wien machte den Anfang. Bevor sie das Referat des erkrankten John Bunzl über „Antisemitismus und Nahostkonflikt“ verlas, bekannte sie sich als Jüdin. Dies tat sie auch während ihrer Arbeit über die Auseinandersetzung rund um das „Anderl von Rinn“.

Der Chefredakteur der Zeit-

schrift „Die Gemeinde“, Karl Pfeifer, hat ein Bündel von Kopien von Briefen b*ei sich, die die Wiener Israelitische Kultusgemeinde in den letzten Wochen erhalten hat, voll von unverhohlenen Drohungen gegen jüdische Bürger. Unter den Teilnehmern der Tagung zweifelte niemand daran, daß derartige Drohungen nicht nur Angst machen, sondern auch ernstgenommen werden müssen.

Dem Ort der Begegnung entsprechend, konnte es jedoch nicht nur um Österreich gehen. Nach Tagungen über „Gaismair und seine Zeit“ (1982) und „Arbeiterbewegung“ (1984) war für den Vorsitzenden der Michael-Gais-mair-Gesellschaft Bozen, Günther Pallaver, die erneute Auseinandersetzung um das Anderl von Rinn im Jahre 1985 ein Anlaß, um neben einer Aufarbeitung der Geschichte der Juden in Tirol das Thema Antisemitismus breiter zu behandeln.

Bewußt sollte aber der Tiroler Rahmen gesprengt werden. Für Interessenten lag ein 200 Seiten starkes Sonderheft der Zeitschrift „Sturzflüge“ (Mai/August 1986) zum Thema „Die Geschichte der Juden in Tirol“ auf. Schon deshalb wurde auf der Tagung

nur während einer Stunde auf Tirol eingegangen.

In diesem Heft der „Sturzflüge“ findet sich auch der Beitrag „Hinter vorgehaltener Hand... von Alexander Langer. Der alternative Abgeordnete im Südtiroler Landtag war nicht sicher, ob er das darin beschriebene, bis jetzt „erschütterndste Erlebnis seines öffentlichen Wirkens“ zur Kenntnis bringen sollte. Der Gesprächsatmosphäre entsprach es, Langer zuzuhören.

„Rassismus gibt's in Südtirol keinen — könne es ja auch gar nicht geben, weü ja nicht zwei verschiedene Rassen zusammenleben. Hören Sie also endlich auf, diesen Ausdruck zu verwenden!“ So die Antwort Landesrat Anton Zeigers auf die Befürchtung Langers, die ganze Volkstumspolitik in Südtirol müsse zum Rassismus führen.

Dazu eines unter mehreren genannten Beispielen:

Im christdemokratischen Tren-tiner Tagblatt „L'Adige“ erschien im Juli 1985 in der Leserbrief spalte eine Zuschrift eines „Dr. Karl

Saltner“. Darin wird Langer vorgeworfen, daß er den Neufaschisten gleich die „Eliminierung“ der deutschsprachigen Südtiroler zum Ziel hätte. Dies sei auch leicht erklärbar, stelle es doch die „intelligente Rache“ des „Judensohnes“ dar!

Der Leserbrief wurde kommentarlos abgedruckt. Die Presserundschau für die Landtagsabgeordneten brachte den Leserbrief noch am gleichen Tag. Langers Abgeordnetenkollegen schwiegen dazu.

Sarkastisch schloß Langer in Anlehnung an die Bemerkungen Zeigers: „Aber wie gesagt, Antisemitismus gibt es in Südtirol nicht.“

Anzumerken bleibt: Das Publikum blieb aus. Die 13 Referenten, Journalisten und Uber setzer wurden nur durch eine kleine Gruppe von Südtirolern ergänzt. Wären nicht auch einige Studenten aus Innsbruck gekommen, wäre das Bemühen der Organisatoren um einen repräsentativen Rahmen im Merkantilgebäude (Palazzo Mer-cantilo) der Handelskammer umsonst gewesen. Aber damit muß eine derartige Veranstaltung wohl auch leben.

Der Autor ist Assistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.

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