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Kein Transmissionsriemen

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Jugoslawien steckt in der schwersten Krise seit 1948, weil die „Kominformisten“ Titos föderative Republik in den Warschauer Militärpark zurückführen und integrieren möchten. Das Belgrader Regime widersetzt sich der russenfreundlichen Wühlarbeit und verfolgt energisch die von Sowjeteuropa gesteu-•erten „Kominformisten“. Zahlreiche Verhaftungen fanden statt und es scheint, als ob mehrere spaktakuläre anti-stalinistische . Schauprozesse vorbereitet würden. Um eine starke, einheitliche Basis zu schaffen oder wenigstens vorzutäuschen, sollen die Massenorganisationen der Intellektuellen „revitalisiert und konsolidiert“ werden. So wurde dem seit Jahren zur Untätigkeit verurteilten Schriftstellerverband im Oktober erlaubt, seinen 8. Kongreß zu veranstalten, wohl in der Hoffnung, daß die Literaten unisono ihren Treueeid auf den Titoismus leisten würden. Trotz aller Anstrengungen der Spitzenfunktionäre kam es aber anders und die geistige Mobilmachung scheiterte.

Es fehlte nicht an unmißverständlichen Suggestionen seitens der Partei. Jeder Literat sollte wissen, was die Staats- und Parteiführung in einer schweren Stunde .von ihm erwartet. Aber gerade die berühmtesten und auch im Ausland geschätzten Schriftsteller machten nicht mit, sondern glänzten durch Abwesenheit. Der Schriftstellerverband versagte als „Transmissionsriemen der Partei“. Und dies, obgleich die Literaten durchaus keine „Kominformisten“ sind, die sich nach dem sowjetischen Literaturimperialismus sehnen. Sie interessieren sich für ihre eigenen Probleme, wobei sie vielleicht die außenpolitische Gefahr übersehen. Die Freiheit der kulturellen Aktivität und ihre finanzielle Situation rangieren für sie vor außenpolitischen Plänkeleien, die für den titoistischen Staat eines Tages lebensgefährlich werden könnten. Die zentrale Frage des Kongresses war jedenfalls, wie sich die Zukunft der Literaten im Land der .Arbeiter-Selbstverwaltung“ entwickeln wird.

Organisatorisch dürfen sich 1556 Autoren Mitglieder des Schriftstellerverbandes nennen. 60 davon sind Montenegriner, 160 Mazedonier, 391 Serben, 320 Kroaten, 150 leben in Bosnien und der Herzegowina, 170 in der Vojvodina und 79 in Kosovo. In den zwei letztgenannten autonomen Gebieten gibt es zahlreiche ungarische und albanische Literaten, ja sogar einen Ukrainer und je zwei Türken und Slowaken.

Die prominenten als „kroatischseparatistische Nationalisten“ etikettierten Schriftsteller fehlten: Vjekoslav Kaleb, Petar Segedin, Zlatko Tomicic sowie der namhafte Essayist Vlado Gotovac. Auch einige als kominform-feindlich bekannte Serben fehlten. Dobrica Cosic, der früher als Vorsitzender die Serbische Literaturgemeinschaft geleitet hat, der Dichter Matija Beckovic, Zoran Glusevic und der bekannte Romancier Miodrag Bulatovic. Selbstverständlich blieb dem Kongreß auch der bekannteste Exkom-munist Milovan Djilas fern, den konformistische Literaturfunktionäre während der Sitzungen als einen „anarcho-liberalen Theoretiker“ heftig attackierten. „Verdächtig“ war auch das Fehlen des slowenischen Dichters Edvard Kocbek.

Die größte Sensation des Kongresses war,, wenn auch im negativen Sinne, das unerwartete Fernbleiben des Doyens der kroatischen Literatur, Miroslav Krleza, der von der einstigen Budapester Militärakademie der österreichisch-ungarischen Monarchie über das Königreich der Karadjordjevic bis zur Akademie der Wissenschaften Tito-Jugoslawiens 'einen kurvenreichen, langen Weg zurückgelegt hat. Er entschuldigte sich mit Krankheit. Ebenso die Serben Branko Copic und Milos Crjanski, der Montenegriner Mihajlo Lalic und der - Bosnier Mosa Seli-movic.

Der junge kroatische Essayist Pre-drag Matvejevic hatte die Zivilcourage, die beunruhigendste Frage der Literaten auf diesem Kongreß offen auszusprechen: Wie kann ein Autor, der das sozialistische System respektiert und akzeptiert, in einem sozialistischen Staat es vermeiden, daß er zum Parteikonformisten degradiert wird? Und diese bedenkliche Frage blieb im Räume hängen.

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