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Kirche im Widerspruch

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Nur wenige Tage blieben dem Ostberliner Bischof D. Schönherr zwischen der Aufforderung, die erste Ansprache eines Pfarrers im DDR-Fernsehen zu halten und dem eigentlichen Termin, dem Karfreitag. Die Johannespassion war verklungen, da verkündete die Ansagerin überraschend, daß nun der „Vorsitzende des Bundes der Kirchen in der DDR“ sprechen werde. Schönherr meditierte über die Passion Christi.

Nun Die meisten DDR-Deutschen hatten wie immer das Westfernsehen eingeschaltet. Eilig hatten noch Eingeweihte telefonisch die Information weitergeben können - aufs ganze gesehen waren dann aber Christen und Nichtchri-sten nicht dabei. So wenig, wie bei den Gottesdiensten sonst. Eisenach zählte an einem nachösterlichen Sonntag in den Gottesdiensten seiner beiden Hauptkirchen St. Georgen und St. Nikolai knapp 100 Gläubige, von denen überdies ein Großteü zum inneren Kreis gehörte. Der Ausschluß der Öffentlichkeit, Jahrzehnte lang vom Staat und seinen Institutionen, vor allem der Schule und den Jungverbänden, mit allen Mitteln massiv betrieben, trägt reiche Frucht. Kirche findet nur noch im kleinsten Kreis statt.

Diese gleiche Kirche aber ist längst nicht in dem Maß angepaßt und abhängig, wie in anderen sozialistischen Staaten. Diakonie und Seelsorge haben einen gewissen Freiraum, die Zeitung der Ost-CDU veröffentlicht wöchentlich eine biblische Meditation, das Radio bringt sonntäglich eine Predigt, regionale Kirchentage können Tausende vereinen - alles Vorgänge, die einem Christen in der CSSR unglaubhaft klingen müssen. Von einer Christenverfolgung im bekannten Sinn kann in der DDR nicht die Rede sein.

Die Kirche leidet an einem inneren Widerspruch, der weitgehend von äußeren, politischen Faktoren verursacht ist. Er ist folgenreicher als das offene, bekennende Widersprechen in den Jahrzehnten der Verfolgung und Konfrontation. An ihm litt sich Pastor Brüsewitz zu Tode und leiden Tausende noch. Die Vergewaltigung der Seelen, vor allem junger Menschen, durch die unbarmherzige Indoktrinierung einer materialistisch-atheistischen Welt- und Menschenschau, auf der einen Seite - und die Aufforderung an die Christen, sich diesem Staat anzupassen und ihm zuzustimmen. Das ist der Widerspruch. „Christen im sozialistischen Staat“: diese harmlos und realistisch klingende Standortbestimmung wird im gleichen Augenblick zu einem Bekenntnisersatz, wo es statt dessen heißt: „Christen für den sozialistischen Staat.“ Da es weit über die Kraft selbst Tapferster geht, länger als ein Menschenalter ständig im „gegen“ zu leben, hegt diese Kapitulation nahe. Jede auch nur von fern nach „für“ klingende Äußerung prominenter Christen - gegen die Neutronenbombe, gegen den Rassismus oder für den Frieden (nach Helsinki-Muster) wird groß in die Zeitungen gebracht.

Dieser Widerspruch lähmt die Gemeinden und ihre Hirten mehr, als sie oft noch selbst erkennen können. Das „contra“ hat sich totgelaufen und obendrein den Auszug aus der Kirche nicht aufgehalten - dem „pro“ mißtrauen viele im tiefsten Herzen, zumal es von den „Gemeinden“, deren Glieder meist diesen Staat ablehnen, keineswegs honoriert wird. Sie wünschen, wenn überhaupt Kirche, dann eine solche reiner Innerlichkeit.

Nur bescheidene Anfänge in der jungen Generation kirchlicher Mitarbeiter zu einem dritten, realistischen Weg, der nicht von pro und contra, sondern von einer durch Glauben bestimmten Annahme der Situation gekennzeichnet ist, werden sichtbar. In dem Buch „Aufschlüsse“, von Theologen der DDR gerade jetzt herausgebracht, finden diese Bemühungen einen ersten glaubwürdigen Ausdruck.

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