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Know-how von hüben, Löhne von drüben

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Die Umwandlungen in Osteu- ropa erfordern neue Marke- tingstrategien. Das heißt, die bis- her relativ eingeschränkten Kon- takte zu wenigen Zentralstellen wie AH-Firmen, Ministerien und ähn- liches müssen ausgeweitet werden auf die zahlreichen Endabnehmer und Kunden, zum Teil bereits Pri- vatfirmen. Da sich nur wenige Groß- konzerne und -firmen die Aufrecht- erhaltung eines in der Regel sehr kostspieligen Netzes von Repräsen- tanzen in den einzelnen Oststaaten leisten können (beziehungsweise derzeit noch nicht wollen), ist die Errichtung einer zentralen Ver- triebsniederlassung oder anderen Unternehmensformen in Österreich mit der Aufgabe der Betreuung dieser Märkte naheliegend.

Bereits bisher war Österreich für viele westliche Firmen Standort und Sprungbrett für Ostgeschäfte, wes- halb besonders in Wien zahlreiche Vertriebs-, Produktions- und Ban- kenniederlassungen inklusive Joint-Ventures bestehen. Sie ha- ben die Aufgabe, die Ostmärkte zu betreuen.

Durch die 1989 in Kraft getretene Steuerreform mit zahlreichen sub- stantiellen steuerlichen Verbesse- rungen werden Investitionen be- ziehungsweise Gründungen auslän- discher Unternehmen, insbesonde- re Holdings, in Österreich begün- stigt. Die Tendenz für die Grün- dung solcher Niederlassungen hat sich durch die Öffnung Osteuropas deutlich verstärkt. Unternehmun- gen und Banken aus den USA (wie etwa IBM, Hewlett Packard, Gene- ral Motors, Chrysler, McDonald's, Coca Cola...), Japan (Honda, Mit- subishi, Nomura, Tokai-Bank) und den übrigen Fernostländern (wie Südkorea, Taiwan), aber auch aus Europa (Mercedes Benz, Siemens, Philips...) sehen Österreich bezie- hungsweise Wien als optimalen Standort (geographische Nähe, Infrastruktur, Osthandelserfah- rung) für ihre Ostaktivitäten.

Für Österreich beziehungsweise Wien eröffnet sich daher die Chan- ce, Handels-, Finanz- und Dienst- leistungsplatz mit besonderer Aus- richtung zu den osteuropäischen Ländern zu werden, eine Funktion ähnlich jener von Hongkong und Singapur im Fernen Osten. Der Transithandel, verschiedene Arten von Gegengeschäften (Kompensa- tion, Switch-Geschäfte, buy-back- arrangements) und Finanztransak- tionen zur Überwindung des Devi- senmangels dieser Länder, für de- ren Abwicklung österreichische „Trading companies" und Banken speziell langjährige Erfahrung haben, werden weiterhin zuneh- men. Derzeit werden über Öster- reich Transitgeschäfte im Gesamt- ausmaß von rund 130 Milliarden Schilling abgewickelt, wovon etwa 30 bis 50 Prozent auf die Oststaaten entfallen.

Im Bereich der Unternehmensfi- nanzierung bieten sich für die rela- tiv junge aufstrebende Wiener Börse echte Chancen, Kapitalmarktfunk- tionen für Osteuropa zu überneh- men. Sei es bei der Emission von Anleihen osteuropäi- scher Staatsbanken oder bei der Einfüh- rung von im Zuge der Privatisierung neu entstehenden Aktien- gesellschaften in den amtlichen Handel der Börse. Eine enge Ko- operation mit den im Entstehen begriffenen Börsen in unseren öst- lichen Nachbarlän- dern ist ein nahelie- gendes Ziel und kann nur von Vorteil sein.

Die Umwandlung der östlichen Plan- wirtschaften zur Marktwirtschaft er- öffnet auf dem Dienst- leistungssektor neue Marktlücken: sei es im Bereich der Informa- tion, Beratung, Ausbil- dung und Manage- menttraining bis hin zum Tourismus. Zahl- reiche, vor allem in Wien ansässige Rechtsanwälte, Bera- tungs- und Marketing- firmen, Management- institute und so weiter haben bereits ihr In- teresse auf diese Marktnischen konzen- triert und Büros in Ost- europa errichtet beziehungsweise arbeiten sie mit dortigen Partner- firmen zusammen, wobei das vor- handene Know-how und die Markt- kenntnisse sowie die mentalitäts- mäßige Proximität von Vorteil sind. Erhöhter Informations- und Bera- tungsbedarf besteht besonders in der Übergangsphase durch Einfüh- rung neuer Gesetze und Steuern und durch das Fehlen adäquater Strukturen in diesen Ländern.

Die Niederlassung ausländischer „ East-Regional-Headquarters" in Österreich bringt nicht nur eine Belebung auf dem Bereich des Ar- beits- und Immobilienmarktes mit sich; ebenso werden Chancen für österreichische Beteiligungen an ausländischen Investitionen in Ost- europa oder auch an Zulieferungen (zum Beispiel auf dem automotiven Bereich) zu diesen Joint-Venture- Unternehmen eröffnet. Durchaus denk- und (mittel- bis langfristig) realisierbar erscheint die Idee des sogenannten „Twin-Investment"- Konzepts auf dem Hochtechnolo- giebereich, wonach sich die Ansied- lung von kapital- und forschungs- intensiven Investitionen in Öster- reich, jene von arbeits- und lohnin- tensiven Betriebsstätten in den östlichen Nachbarländern aus be- triebs- und marktwirtschaftlichen beziehungsweise risikopolitischen Überlegungen anbietet.

Der Autor ist Leiter des Osteuropareferates in der Bundeskammerdergewerblichen Wirtschaft.

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