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Kyselack

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Joseph Kyselack, 1795 bis 1831, Registraturakzessist in Wien, dürfte der einzige Mensch sein, der es durch Schreiben zu Ruhm gebracht hat, ohne sich der Mühe unterzogen zu haben, Bücher, oder auch nur Artikel oder sonst etwas zu verfassen. Wir wollen uns aber gleich berichtigen: er hat ein Buch herausgegeben, es ist unter dem Titel „Skizzen einer Fußreise durch Österreich, Steiermark, Kärnten etc.“ im Jahre 1825 erschienen. Aber Ruhm hat ihm das nicht gebracht, obwohl manches an der Sache originell war. Allein schon der Einfall, zu Fuß zu reisen. Er kam damit, wie er beschreibt, oft genug in Teufels Küche. Ein anständiger Mensch nahm doch den Wagen, er konnte nur ein Landstreicher oder gar ein Spion sein. Schließlich schleppte er auch während der Wanderung stets sein Schießgewehr mit sich. Sein ebenfalls mitreisender Wolfshund erregte in einsamen Alpengegenden unliebsames Aufsehen, die Leute zogen aus, den Wolf zu erschlagen und konnten kaum besänftigt werden. Daß Herr Kyselack in diesem Aufzug sogar den Dachstein bestieg, war an sich schon wunderbar genug, aber für diese Zeit lange vor dem offiziellen Alpinismus geradezu eine Pionierleistung. Er war der dritte, der das wagte. Dafür hätte er Ruhm verdient, aber er erntete ihn für etwas ganz anderes. Vom Standpunkt der Literaturkritik aus gesehen, hätte er durchaus Auf-mersamkeit mit seiner eigenständigen Ausdrucksweise erregen können, hätte man seinen Fahrtenbericht nicht als nebensächliches Produkt einer persönlichen Vergnügung abgetan. Einige Beispiele: „Endlich erreichte man Hofgastein. Dieser finstere Markt, der nebst sehr alten Häusern auch einen großen Kirchhof besitzt, könnte füglich als Ursache der Traurigkeit der Umbewohner gelten.“

„Auf der breiten Fahrstraße sollen viele Unglückstafeln, welche mehr das Unglück des Malers als des zu entwerfenden Ereignisses bezeigen, den Wanderer warnen.“

„Der Abend kleidete sich trübe und wolkig...“

„Später, als die Flamme erlosch, tummelte sich Schneekälte in der Hütte herum.“

„In dem untröstlichen Wirtshaus war außer schlechtem Bier nichts zu bekommen.“

„Das Weib griff mit beiden Händen unter den abgenützten Hut, um in den Haaren Gedanken zu suchen.“

Aber nein, alles das fand keine Beachtung. Es wäre übrigens nachzutragen, was für einen Beruf der Mann ausübte: Registraturakzessist ist soviel wie ein Amtsanwärter. Der Titel, Erzeugnis der österreichischen Amtssprache, hielt sich so lange, daß sogar der Dichter Georg Trakl ihn beim Militär verliehen bekam: „Medikamentenakzessist“ — denn er hatte Pharmazie studiert.

Kyselacks Ruhm, der mehr als hundert Jahre gehalten hat, heute aber doch schon blaß geworden ist, wurde von ihm, wie gesagt, nicht durch Schriftstellerei oder Dichten, sondern durch Schreiben erworben. Er muß in jener Frühzeit schon erkannt haben, was Persönlichkeitskult ist. Da er keine Plakatwände zur Verfügung hatte, die er mit seinem Bildnis hätte schmücken können, wie es die modernen Politiker tun, so wählte er einen ihm zugänglichen Weg. Er führte stets schwarze Farbe und einen Pinsel mit sich und verzierte jedes neue Bauwerk in möglichst schwindelnder Höhe mit seinem Namenszug. Auch Felswände und Kirchtürme dienten ihm dazu, und seine alpinistische Erfahrung kam ihm bei diesen Unternehmungen zugute. Die Wiener wachten selten auf, ohne irgendwo den bemerkenswerten Namen aufgeschrieben zu finden. Und mit Ausnahme der amtlichen Stellen nahmen sie es auch von der heiteren Seite. Wurde ein Neubau errichtet, so warteten sie schon darauf. Und die Polizei nicht minder, aber sie kam dem kühnen Kletterer nicht hinter die Schliche. Er ist, wenn wir recht unterrichtet sind, niemals verurteilt worden. Aber sein Kaiser, Franz der Gute, machte einmal einen Versuch, seinen Untertanen Kyselack von seiner lästigen Gewohnheit abzubringen. Joseph Kyselack, Registratursakzessist, gelobte denn auch ehrerbietigst Besserung. Nachdem er sich mit tausend Bücklingen entfernt hatte, fand der gute Kaiser in seinem Schreibtisch den Namen Kyselack eingeritzt. Der Wahrheit zur Ehre: Belegt ist dieser Vorgang nicht, er lebt nur im Volksmund.

Immerhin erhebt sich die Frage, was denn eigentlich dieser Kauz mit seiner Schmiererei hatte erreichen wollen? Manche behaupten, es sei reine und eher schon krankhafte Geltungssucht gewesen, die ja die Menschen zu mancher erstaunlichen Handlung treibt; nicht selten hört man von Verbrechern nach der Tat, sie hätten eben auch einmal in die Zeitung kommen wollen. Befragte

Ärzte halten dafür, daß Kyselack doch etwas wie einen geistigen Defekt gehabt haben müsse. Was er tat, sei einer Zwangshandlung entsprungen, keiner Kleptomanie, aber sozusagen einer Onomatonie. Das wäre schon eine Erklärung, da der Gute doch allerhand riskierte, nicht nur seinen Hals, sondern auch seine im Endeffekt tatsächlich nicht eben steile Karriere. Ein Registratursakzessist mit 36 Jahren ist ein bemoostes Haupt.

Wie dem auch sei: zum Nachruhm hat er es gebracht, ohne daß er sich eines der hektischen Mittel bedienen mußte, mit denen heute Schreibende ihn zu erreichen suchen. Er war weder eingesperrt noch ausgebrochen, weder pervers noch lief er nackt über die Ringstraße. Und doch gibt es heute noch Österreicher, die den Namen Kyselack mit anerken-nedem Schmunzeln nennen.

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