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Lili Marleen als Altersrente

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In den Nachrufen auf Marlene Dietrich kam es nur am Rande zur Sprache: daß unter den vielen Songs, denen sie ihre Stimme geliehen hat, auch die gute alte „Lili Marleen" gewesen ist - in englischer Fassung, für die amerikanischen GIs. Im kriegführenden „Großdeutschland" längst als „weiche Welle" verpönt, hatte das Lied vom jungen Mädchen, das vorm Kasernentor vergebens auf „seinen" Wachesoldaten wartet, unversehens auch das „feindliche" Lager, auch die Herzen der Alliierten erobert. John Steinbeck pries es nach 1945 als das schönste Liebeslied aller Zeiten - „nur schade, daß ein Deutscher es geschrieben hat". Dieser Deutsche ist Hans Leip, der heute vergessene Barde von der Waterkant, dem es mit bewundernswertem Mut gelungen war, sich der Vereinnahmung durch die Nazis zu widersetzen. 1983 ist Leip knapp neunzigjährig an seinem Alterssitz Fruthwilen im Schweizer Kanton Thurgau gestorben. Dietmar Grieser hat vor kurzem die Witwe besucht.

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In den Nachrufen auf Marlene Dietrich kam es nur am Rande zur Sprache: daß unter den vielen Songs, denen sie ihre Stimme geliehen hat, auch die gute alte „Lili Marleen" gewesen ist - in englischer Fassung, für die amerikanischen GIs. Im kriegführenden „Großdeutschland" längst als „weiche Welle" verpönt, hatte das Lied vom jungen Mädchen, das vorm Kasernentor vergebens auf „seinen" Wachesoldaten wartet, unversehens auch das „feindliche" Lager, auch die Herzen der Alliierten erobert. John Steinbeck pries es nach 1945 als das schönste Liebeslied aller Zeiten - „nur schade, daß ein Deutscher es geschrieben hat". Dieser Deutsche ist Hans Leip, der heute vergessene Barde von der Waterkant, dem es mit bewundernswertem Mut gelungen war, sich der Vereinnahmung durch die Nazis zu widersetzen. 1983 ist Leip knapp neunzigjährig an seinem Alterssitz Fruthwilen im Schweizer Kanton Thurgau gestorben. Dietmar Grieser hat vor kurzem die Witwe besucht.

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Wenn ich zu Recherchen wie diesen - ich bin für zwei Tage zu Gast bei Kathrin Leip im Schweizer Kanton Thurgau - aufbreche, erwarten mich unterschiedliche Verhältnisse. Je nach Temperament des Gesprächspartners wird improvisiert oder aber nach einem präzis festgelegten Plan vorgegangen. Manche schicken mir schon vorweg Material zu, andere halten es im Gegenteil zurück, auch Prüfungen, ob ich denn für ein solches Unternehmen würdig sei, bin ich schon unterworfen gewesen.

Kathrin Leip hält unter denen, die für schrankenlose Offenheit sind, den Rekord. Die Verhinderungsfloskel „Das dürfen Sie aber auf keinen Fall schreiben!", lästiger Refrain so vieler Witweninterviews, kommt ihr kein einzigesmal über die Lippen, und auf der Ablage in der Bibliothek, der großen Tischplatte, die den Schubladenkasten mit dem graphischen Nachlaß des Malerdichters abschließt, türmt sich das Material, das für mich bereitgestellt ist. Neben den belletristischen Werken des Autors liegen auch die beiden Sachbücher, die er mit sechzig beziehungsweise Sechsundsechzig geschrieben hat: die Golfstrom-Saga „Der große Fluß im Meer" und „Bordbuch des Satans", eine Chronik der Freibeuterei. Dazu „Das Tanzrad", seine erst mit fünfundachtzig vollendete Autobiographie, Neuauflagen alter Erfolge wie „Jan Himp und die kleine Brise", „Das Muschelhorn", „Aber die Liebe", „Die Klabauter-flagge" und „Godekes Knecht".

Gesamtausgabe zu riskant?

Hans Leips große Zeit mag zwar lange vorbei sein, doch mit immerhin zwölf Titeleintragungen ist er noch im „Verzeichnis lieferbarer BücheV präsent. Jeden der Bände, die ich zur Hand nehme, kommentiert die Witwe in kompetenter Weise, und sie tut es ohne Schwärmerei und Weihrauch, ja wo es ihr geraten erscheint, auch kritisch - etwa, wenn in neueren Lyrikanthologien immer nur „Lili Marleen" zum Zuge kommt oder wenn in ihre Beurteilung seines Spätwerks die leise Klage einfließt, wie sehr sie sich da doch „das eine oder andere Bedeutendere" gewünscht hätte. Dann aber wieder, wo es um seine späte Lyrik geht, rückhaltlose Bewunderung, gepaart nur mit bitterer Enttäuschung über die Verlage von heute, die vor dem Risiko einer Gesamtausgabe zurückschreckten. „Das hat meiner Koronarinsuffizienz, an der ich seit einigen Jahren laboriere, gar nicht gut getan."

Gleichwohl - das erwartete Lili-Marleen-Lamento bleibt aus: Kathrin Leip ist Realistin genug, nicht nur freimütig zuzugeben, sondern sogar dankbar dafür zu sein, daß es noch immer, bald achtzig Jahre nach seiner Niederschrift, jenes fünfstrophige

Gedicht ist, das sie ernährt (und gar nicht so schlecht). Alle Vierteljahre rechnet die GEMA die Lili-Marleen-Tantiemen mit ihr ab, und alle Vierteljahre sind es rundgerechnet satte 15.000 Schweizer Franken. Das ergibt ein Monatssalär von 40.000 Schilling, und davon läßt sich (ihre eigene Pension hinzugerechnet sowie die ihres Mannes aus frühen Jahren, da er im Schuldienst stand) gut leben - auch wenn das Haus noch immer mit Hypothekarzinsen belastet ist.

„Wenn die GEMA nicht war', wären Töpfe und Pfannen oftmals leer!" sang schon Hans Leip das Lob der Aufführungs- und Vervielfältigungsüberwachung. Dennoch mochte er sich nicht auf ein anhaltendes Sprudeln dieses Quells verlassen, und so forcierte er in seinen letzten Lebensjahren die zweite Seite seiner Doppelbegabung und malte, malte, malte, was Pinsel und Palette hergaben: „Ich muß für meine Frau Vorsorgen." Noch vier

Tage vor seinem Tod vollendete er -aus der Erinnerung - ein allerletztes Bild: „Unser Chiemsee-Fenster".

Nachlaßwert amtlich festgelegt

Kathrin Leip kann es sich also leisten, den in ihrem Besitz verbliebenen Teil des Nachlasses - Manuskripte, Vertonungen, Tagebücher, Korrespondenzen, Widmungsexemplare und Photographien - der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek zu vermachen. Nur die Ölbilder, Aquarelle, Druckgraphiken, Zeichnungen, Holz- und Linolschnitte, die er hinterlassen hat, haben ihren Preis. Der von Amts wegen beigezogene Taxator hat ihn festgesetzt, und daran hält sie sich. Das Originalmanuskript der „Lili Marleen" aus dem Kriegsjahr 1915 gilt als verschollen.

Im Herbst erscheint als Ullstein-Taschenbuch die Neuauflage von Dietmar Griesers Buch „Musen leben länger", in dem das ganze Kath-rin-Leip-Porträt enthalten sein wird.

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