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Löwe und Einhorn

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„Kurze Geschichte Englands.“ Der gebildete Katholik denkt bei diesem Buchtitel selbstverständlich an das geniale Büchlein Chestertons und ist tief enttäuscht, wenn ihm ein ebenso benanntes, ganz anderes geboten wird. Ärgerlich fragt er sich, wozu nach jenem herrlichen Buch noch dieses überhaupt gemacht, und erst recht, wozu es auf den deutschsprachigen Markt geworfen wird, wenn jenes — soviel wir wissen — nicht übersetzt worden ist. Der katholische Rezensent muß jedenfalls fest- steilen, daß Chestertons Werk unseren Standpunkt darstellt — und zwar mit allgemeinen, auch für andere Länder der Christenheit gültigen Wahrnehmungen —, während hier der gegenteilige Standpunkt maßgebend war.

Freilich gibt die „Kurze Geschichte Englands" von White nicht etwa den integralen liberalen Mythus wieder, wie ihn unseren Urgroßvätern MacAulay verkündete, „in einem Stil von klingenden Sätzen, die bestenfalls wie Stahl und schlimmstenfalls wie Blech sind“ (Chesterton). Wobei es gut zu wissen ist, daß MacAulay von einem schottischen Kollaboranten abstammte — einem Schotten also, der nach dem nationalen Aufstand von 1745 der Regierung der englischen Whigs als Angeber diente. Nein, White ist nicht schlicht fortschrittsgläubig, er schimpft nicht schlicht auf das Mittelalter, er weiß zum Beispiel, daß ein mittelalterlicher Bauer sehr froh war, an seine Scholle gebunden zu sein … Aber er schmäht Jakob II. wegen seiner katholischen und monarchischen Politik, und er bringt es tatsächlich fertig, beide Cromwells zu loben: nicht nur den Lordprotektor, den Irenmörder, sondern auch den ersten, den Klosterstürmer. (Etwa als lobte ein Deutscher den Polen-Frank und Rosenberg.) Ja, das Buch hat auch Literaturangaben; Belloc und Chesterton werden nur als Witz erwähnt, und Lingard steht im Register nicht

Auch bei dem zweiten heute zu besprechenden Buch stoßen wir uns am Titel. Man hätte auch dieses nach einem katholisch gesinnten Meisterwerk taufen können, nach Klopps „Fall des Hauses Stuart“. Aber, nein, es heißt schlechthin „Die Stuarts“, verweist zwei Jahrhunderte in eine kärgliche Einleitung und beginnt mit Königin Maria, (Als ob jemand „Die Habsburger“ bei Maria Theresia anflnge.) Wobei der Leser, der es vorher nicht wüßte, nur aus dem Register erkennen könnte, daß auch Marias Nachkommen Stuarts waren, von der Schwertseite her.

Die Geschichte der Stuarts ist sosehr ein Ritterroman, daß zahllose Ge- schichts- und Romanautoren der Versuchung erlegen sind, sie in gefühlsselig-anhänglichem Ton zu schreiben. Unser Autor lehnt sich, wie man so sagt, zurück, um das zu vermeiden, und schreibt also, so respektlos er kann. Es beginnt damit, daß Königin Maria ihren Sohn von David Rizzio empfangen und die Kassettenbriefe wirklich geschrieben haben soll. (Auch verschweigt er die so aufschlußreichen Worte der Königin vor dem Tode, sie sterbe als Katholikin, weil sie ja — von der Mutter her — aus dem Hause Lothringen sei.) Immerhin wird der Autor an anderen Orten den Tatsachen, das heißt auch den moralischen Tatsachen, den Gedanken und Gefühlen der besprochenen Epoche gerecht. Der Prozeß König Karls I. erinnert ihn an die Verhandlungen vor Roland Freister … Zu seinem Lobe ist auch zu vermerken, daß er sein Buch mit Bildern ausgestattet hat, wie sich das bei biographischen Werken verstehen sollte; dabei findet sich ein Stammbaum und ein Literaturverzeichnis — freilich ohne „Scotland’s Royal Line“, wo sich manche Ergänzung gefunden hätte. Wohl ist und bleibt die Geschichte der Stuarts ein spannendes und auch lehrreiches Thema; und so wäre das gegenwärtige Buch vorteilhafterweise noch durch gute Übersetzungen zu ergänzen. Es gibt ja Belloc, Carola Oman und so weiter…

KURZE GESCHICHTE ENGLANDS. Von Richard J. White. Originaltitel: „A short history of England." Übersetzt von Herta Simon-Auf - sesser. München, Callwey, 1970. 310 Seiten. — DIE STUARTS. Genie und Unstern einer königlichen Familie. Von Hermann Schreiber. München, Piper, 1970. 349 Seiten, 16 Bildtafeln. DM 25.—.

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