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Marquis de Sade in Polen

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Studenten aus der DDR, die, offen zugeben, der Warschauer Herbst biete ihnen die einzige Möglichkeit, moderne Musik zu hören, und die jüngere Generation der polnischen In-telligenzia bestimmen das Erscheinungsbild des Publikums dieses Musikfestivals. Die internationale Geltung von Wttold Lutoslatosfci und Krzystof Penderecki haben es mit sich gebracht, daß diese beiden Komponisten als Jahresregenten über den Ereignissen standen und hochgeehrt wurden, obwohl sie eigentlich nichts Neues zu bieten hatten. Penderecki dirigierte im Dom des hl. Jan sein bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtes Magnificat, aus welchem Anlaß der Kardinalprimas sich höchstpersönlich neben dem Dirigenten am Pult zeigte, während Lutos-lawski nur für seine „Paroles tis-sees“ den Stab ergriff, ein Werk, das immerhin schon 1965 zur Uraufführung gelangte. Bei aller Wertschätzung der strukturalen und ästhetischen Qualitäten der Komposition bekam man nicht eben des Kaisers neue Kleider vorgesetzt. Obwohl kein Kind auf deren Fehlen hinwies, erkannte man den Zahn der Zeit zumindest an den schwindenden stimmlichen Mitteln des Tenors Peter Pears, der den Anforderungen des Vokalparts nicht mehr gewachsen 'war.

Eine neue Begegnung für die Bewohner der Weichselstadt war eine der unzähligen Versionen der „Passion selon Sade“ von Sylvano Bus-sotti, die Marcello Panni mit seiner Gruppe „Teatromusica“ und Elise Ross zur Erstaufführung brachte. Großes Staunen erregten eine fröhliche kabarettistische Version des Song-Book von John Cage durch Simone Rist und ihre Gruppe „Mu-sique et scene d'aujourdhui“ und „Les Percussions de Strasbourg“, die mit „Persephasse“ von Iannis Xena-kis die hohe Schule der Schlagwerk-kunst'vorführten.

In einem Nachtkonzert konnte das Wiener „Ensemble des XX. Jahrhunderts“ unter Peter Burwik mit „Phonophobie 1975“ von Andor Losonczy (Salzburg) und „Naluan“ für Band und acht Instrumentalisten von Francois Bernard Mäche, das den Klängen des Orchesters auf Band aufgenommene Vogelstimmen gegenüberstellt, einen beachtlichen Erfolg buchen. Weniger gut erging es dem Center of performing and creative arts, Buffalo, das zwar mit Robert Morans ,,L' apresmidi du Dracoula“, einer Paraphrase über Zeichnungen aus der Welt des Xami-Xan von Robert Doxat, der Wiener Atmosphäre der sechziger Jahre durchaus gerecht wurde, mit Morton Feldmans hauchfeiner Minimalmusic „Instruments“ dagegen kläglichen Schiffbruch erlitt, da die Polen dramatische Spannungen in der Musik offenbar nicht missen wollen.

Der beträchtliche Einfluß, den György Ligeti, der mit „Ramifica-tions“ und der in Österreich noch nie gespielten „St. Fransisco Polyphony“ vertreten war, auf die jüngere Komponistengeneration in Polen ausübt, konnte bei Tadeusg Baird („Psycho-drama“ für Orchester), Boguslaw Schäfer („Warschauer Ouvertüre“) und Marek Stachowski („Chants of Thakur“) erkannt werden.

Mit der zeitgenössischen Oper in Polen, die keineswegs mit den „Teufeln von Loudon“ ihr Auslangen findet, machte ein Gastspiel der Oper Posen bekannt. „Das Zwielicht des Peryn“ von Zbigniek Penherski ist eine romantische Ausdeutung der alten Legende von der durch die Plasten unterdrückten polnischen Bauernrepublik, die schon Krasze-weski zu einer Novelle anregte. Die Lesebuchgeschichte wird angereichert durch religions-historische Betrachtungen über die Ablösung des magischen Geisterglaubens der Urzeit durch eine gereinigte Mythologie, die stark an die „Zauberflöte“ erinnern. Das Thema (Opferung einer Jungfrau als Fruchtbarkeitsritus) gemahnt an den „Sacre du printemps“, was den Komponisten auch zu stilistischen Anleihen bei Strawinsky veranlaßt hat.

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